ILKO-SASCHA KOWALCZUK: „ENDSPIEL"

Der Fall der Berliner Mauer begann am 2. Mai 1989 in Ungarn." Die Ankündigung der ungarischen Regierung, die Grenzbefestigungen zu Österreich abzubauen, gab nach Meinung von Ilko-Sascha Kowalczuk gewissermaßen den Anpfiff zum Endspiel der DDR. Und „Endspiel" hat der Historiker, der seit mehreren Jahren als Projektleiter in der Forschungsabteilung der Birthler-Behörde arbeitet, seine große Abhandlung über den erst allmählichen und dann so plötzlichen Untergang des real-existierenden Sozialismus deutscher Prägung genannt.

Doch Kowalczuk beschränkt sich nicht auf die unmittelbare Erosion durch die Friedliche Revolution von Frühjahr 1989 bis zu den ersten freien Wahlen in der DDR vom 18. März 1990, er erläutert detailliert und gut verständlich auch die wichtigen Ereignisse in der Vorgeschichte. Dazu zählt die finale Krise des Kommunismus in Europa, jener Aufbruch, den die Millionenbewegung der Gewerkschaft Solidarnocz in Polen bedeutete und noch wichtiger – die Machtübernahme von Michail Gorbatschow in der Sowjetunion im Jahre 1985, der mit seiner Politik von Glasnost und Perestroika eine Reform des Sozialismus einleitete, die gerade auch in Ost-Berlin auf massive offene Kritik stieß.

Im Mittelpunkt des bei aller Fakten- und Materialfülle höchst lebendig geschriebenen Werkes aber stehen jene Kräfte von Bürgerrechtlern, Regimekritikern und Kirchenleuten wie auf der Gegenseite der starrsinnige Altmännerverein des SED-Politbüros. Während immer mehr Bürger das Aufbegehren wagen und schon bei den massiven Fälschungen bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 die Machenschaften entlarven, geht die Führungsriege auf Konfrontationskurs zu Gorbatschow. Das gipfelte nach außen hin im Verbot der sowjetischen Zeitschrift „Sputnik" in der DDR, was selbst vielen regimtreuen Bürgern sauer aufstieß, denn seit der Staatsgründung hatte die Devise über Jahrzehnte gelautet: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen."

Während der DDR-Regierung zunehmend die Zügel entglitten und die Zugeständnisse aus der Schwäche heraus zunahmen, ahnte in der Bundesrepublik kaum jemand, wie dramatisch die Lage der DDR längst war. Nach dem Wechsel von Honecker zu Krenz im Oktober 1989 wurden dem Politbüro interne Papiere zur Wirtschafts- und Finanzsituation vorgelegt, die nicht weniger als die totale Bankrotterklärung bedeuteten. Zugleich schwollen die Massenproteste unaufhaltsam an und hatten das selbst viele Falken lähmende Motto „Keine Gewalt!"

Kowalczuk beschreibt diese vielfältigen Protestbewegungen mit großer Eindrücklichkeit aber auch solch kuriosen Erkenntnisse, dass die Bevölkerung der regierenden Altherrenriege zutraute, dass sie aufs eigene Volk schießen lassen würde. Dem Führer der Hegemonialmacht UdSSR dagegen vertrauten sie. Zu recht, wie man später erfuhr, denn Gorbatschow signalisierte Bonn die Nichteinmischung in der DDR. Der Historiker macht jedoch kein Hehl daraus, dass der Kreml-Chef dabei nicht als Gutmensch handelte sondern aus der Notwendigkeit westlicher Kredite für sein eigenes marodes Land.

Die Fluchtbewegungen, die Massendemonstrationen, die wichtige Funktion der Kirche und die politische Refomunfähigkeit des SED-Regimes – alles ist exzellent und erfrischend unideologisch dargelegt. Blicke auch in die Provinz und die Schilderung wenig bekannter Facetten auch kleiner Widerstandsbewegungen machen dieses Buch nicht nur zu einer spannenden Lektüre für Fachleute wie interessierte Laien – man darf mit Fug und Recht von einem Standardwerk zum Thema sprechen, das einen klugen und erfreulich sachlichen Gesamtüberblick gewährt.

 

# Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR; 602 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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