NEAL STEPHENSON: „PRINCIPIA"

Ein höchst raffiniertes Gefüge aus Science-Fiktion im Sinne des Wortes, aus Abenteuer und aus großem Welttheater an der Schwelle zur Moderne hat US-Kultautor Neal Stephenson mit seiner monumentalen Barock-Trilogie in den Bänden „Quicksilver" und „Confusion" aufgebaut, um es nun im dritten Teil unter dem Titel „Principia" mit wirklich meisterhafter Souveränität zum krönenden Finale zu bringen.

Begonnen hatte der Reigen 1655 und er führte die überaus interessant angelegten historischen und erfundenen Akteure durch Europa, in die amerikanicchen Kolonien, in den Orient und aufs Meer mit veritablen Piraten. Ganoven wie Jack Shaftoe, der fast eine ähnlich ungewöhnliche Karriere macht wie Eliza, die er aus türkischer Sklaverei errettet, und die es als Spionin, Intrigantin und Finanzgenie bis zur einflussreichen Gräfin de la Zeur bringt, spielen ebenso erneut wichtige Rolle wie der Naturphilosoph Dr. Daniel Waterhouse.

Wie von Beginn an steht jedoch in dieser Umbruchzeit von Alchemie, Aberglauben, Absolutismus und Hexenverbrennungen zu Wissenschaft, Ratio, Aufklärung und Entwicklung eines Finanzwesens der hoch geistige Dauerzwist zwischen den größten Genies dieser Zeit Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz. Band III setzt am 15. Januar 1714 ein, als Waterhouse, mittlerweile gealtertes Mitglied der Royal Society, nach England zurückkehrt und umgehend nur knapp einem Attentat auf seine Kutsche entgeht. Im Nu steckt er mitten in einem heiklen Komplott, zumal Ziel der Bombe womöglich der zum überaus wichtigen Münzmeister ernannte Newton war.

Newton ist auf der Jagd nach Jack Shaftoe, dem zum Falschmünzerkönig aufgestigenen Gauner, dessen Wirken die Wirtschaft untergräbt. Und es sind gefährliche Zeiten nach dem Tod von Königin Anna, denn es droht eine katholische Restauration, während auf der anderen Seite das Haus Hannover auf den Thron kommen soll, dessen aufgeklärte Prinzessin Caroline eine wichtige Nebenrolle im Geschehen einnimmt. Neben vielen hinreißenden Figuren bis hin zu filmreifen Gastauftritten wie zum Beispiel von Zar Peter dem Großen inkognito in England, stehen immer wieder aber auch die neuen Entdeckungen und Erfindungen im Zentrum des Interesses. So streiten sich Newton und Leibniz um das Verdienst an der Entwicklung der Infinitesimalrechnung oder um die Konstruktion der Logikmühle, einer Art mechanischem Computer, für den der fiktive Gelehrte Waterhouse binäre Codes in Metallplättchen prägt. Und nicht zu vergessen Thomas Newcomens historisch belegter Vorläufer der Dampfmaschinen, die später erst die industrielle Revolution möglich machten.

Das wahrhaft Faszinierende an dem abenteuerlich vielfältigen Geschehen aber ist, dass die absolut beherrschende Hauptrolle die Naturwissenschaften innehaben. Stephenson gelingt es dabei durchgehend, nicht nur exzellent im vorwärtstreibenden Präsenz zu erzählen, er beherrscht auch die schwierige Kunst, dem begierigen Leser kompliziertes Wissen und komplexe intellektuelle Zusammenhänge auf ebenso verständliche wie unterhaltsame Weise zu vermitteln.

Wenn es dann erneut 1120 Seiten dicht gefüllte Lektüre sind (nach jeweils über 1000 Seiten in den beiden Vorläuferbänden!), so sollte das keinen anspruchsvollen Leser abschrecken, denn wie in Band I und II möchte man keine einzige Seite dieser brillanten Fabulierkunst missen. Allerdings sei zum außerordentlichen Lesevergnügen unbedingt angeraten, diese Trilogie – die genau genommen aus insgesamt acht darin enthaltenen Büchern besteht – in ihrer vorgesehenen Reihenfolge zu lesen. Abschließend sei zum Titel „Principia" darauf hingewiesen, dass er wie der Originaltitel „The System of the World" auf grundlegende Werke Isaak Newtons verweist.

 

# Neal Stephenson: Principia (aus dem Amerikanischen von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl); 1120 Seiten; Manhattan Verlag, München; € 29,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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