HARRIET KÖHLER: „OSTERSONNTAG"

Eine Familiengeschichte der besonderen Art hat die Bachmann-Preisträgerin Harriet Köhler mit ihrem Debütroman „Ostersonntag" vorgelegt. Vier in sich unglückliche Menschen streben mit durchwachsenen Gefühlen auf einen der wenigen Tage zu, an dem sich die Familie zur Pflichtveranstaltung trifft, eben zu Ostern.

Mit eleganter Dramaturgie zieht die Autorin den Leser sofort in den Bann des Geschehens, das im ebenso spannungstreibenden Zwiesprachen-Du wie durch den steten Wechsel der Erzähler der Protagonisten bis zur letzten Zeile nicht mehr loslässt. Da ist Mutter Ulla, die ihre Familie mit Feinkostessen nervt und das Altern wie den angejahrten Ehefrust durch Fitnesstraining und heimliche Affären zu kaschieren versucht, während Gatte Heiner nur noch seine Ruhe sucht. Der emeritierte Professor für Insektenkunde versinkt in Apathie, weil ihn die vor allen verheimlichten fortschreitenden Alzheimer-Symptome deprimieren.

Tochter Linda ist mit ihren 36 nur nach außen die erfolgreiche Journalistin, die ihr Alleinsein viel zu selten durch Partnerschaftsversuche durchbricht, wogegen der jüngere Bruder Ferdi, der wie sie aber ohne Kontakt zu ihr in Berlin lebt, gar nichts zustande bringt. Ohne eigene Wohnung dümpelt er von Freundin zu Freundin und dröhnt seine Schwäche mit Pillen zu. Sofern diese Vier jemals in Harmonie lebten, war der Tod des dritten Kindes, der Tochter Friederike, offenbar ein solch tiefer Einschnitt, dass es die Familie endgültig in ihre Teile zertrennte und diese wurden zu „Randexistenzen am Lebensradius des anderen."

Nach diesem Osterfest ist nichts mehr wie früher und dennoch ist irgendwie alles wie zuvor. Mit faszinierender Sprachgewalt gelingt der erst 29-jährigen Autorin eine durch und durch authentische und glaubwürdige Charakterzeichnung ihrer Figuren, die tief in deren Denken und Fühlen führt. Harriet Köhler legt mit diesem fesselnden Roman eine Meisterschaft vor, um die sie manch arrivierter Kollege beneiden dürfte, und den Leser macht sie gespannt auf ihr weiteres Schaffen.

 

# Harriet Köhler: Ostersonntag; 210 Seiten; Kiepenheuer & Witsch, Köln; € 17,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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