HONG YING: "DER PFAU WEINT"

China gestern und heute ist das zentrale Thema in Hong Yings neuem Roman "Der Pfau weint". Der Titel täuscht ein wenig, denn entgegen dem teils exzellent erotischen Vorgänger "Die chinesische Geliebte" ist die hier erzählte Geschichte eher nüchtern realistisch vor stark politischem Hintergrund.

Im Mittelpunkt steht die gebildete Liu Cui, Leiterin eines Pekinger Genforschungsinstitutes. Ihr Ehemann Li Lusheng ist ein aufstrebender Unternehmer, der den Bau jenes gigantischen Drei-Schluchten-Staudamms leitet, der von offizieller Seite als das neunte Weltwunder propagiert wird. Beider Ehrgeiz ist so groß, dass sie wie selbstverständlich im geradezu explosiv prosperierenden Reich der Mitte nur noch eine Fernehe führen.

Erst als Liu einen deutlichen Hinweis auf eine Affäre ihres Mannes erhält, reist sie zu ihm in ihre Heimat am Jangtse-Fluss. Es wird zu einer Rückkehr in die verwirrende Vergangenheit ihrer Familie und Liu muss manch Schmerzliches aus der Zeit ihrer Jugend während der Großen Kulturrevolution in den 60er Jahren erfahren. Geschichten tun sich auf, die gleich vier Frauen auf schicksalhafte Weise zusammenkommen lassen, ohne dass sich wirkliche Verknüpfungen entwickelten.

Doch die Gegenwart erweist sich als mindestens ebenso bedrückend, denn Liu muss erkennen, dass ihr Ehemann mitten in den aktuellen Machenschaften von Vertreibung und Korruption am führender Stelle mitwirkt, die hier und offenbar allenthalben den dynamischen, rücksichtslosen chinesischen Drachen in seinem unglaublichen Wirtschaftsaufschwung mitprägen. Und sie leidet unter dieser grassierenden Verwestlichung, die die chinesische Identität zu untergraben droht.

"Der Pfau weint" verstört auf leisen Sohlen mit seinen Botschaften aus einem in wüstem Aufbruch befindlichen Land, in dem alte Werte nur noch wenig gelten. Die in England lebende Autorin schreibt aus eigener Kenntnis der realen Gegenwart und Vergangenheit und sie tut dies mit viel Einfühlungsvermögen und geschickter Dramaturgie. Fazit: ein ebenso spannender wie niveauvoller Roman aus einem schwer zu verstehenden Land.

 

# Hong Ying: Der Pfau weint (aus dem Chinesischen von Karin Hasselblatt); 247 Seiten; Aufbau-Verlag, Berlin;

€ 18,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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