KERSTIN HENSEL: "FALSCHER HASE"

Gleich in doppelter Ausführung lässt die in der DDR aufgewachsene Autorin Kerstin Hensel jenen kleingeistigen Untertanen Heinrich Manns aus Kaisers Zeiten wiederauferstehen, nur dass dieser Vater und dieser Sohn in Nazi-Zeit und DDR-Regime ihre kleinen unseligen Triumphe als vermeintliche Musterbürger durchleben.

Heinrich Theodor Paffrath ist so verklemmt, dass er sogar Jahre braucht, bis er endlich die Ehe mit der braven Martha vollziehen kann. Beruflich aber befördert sein extremer Opportunismus den Feuerwehrenthusiasten bis in hohe Ämter bei der Berliner Feuerpolizei. Dass er zur Sicherung von Karriere und Freistellung vom Militärdienst eher beiläufig Mitglied in NSDAP und SA wird, passt einfach zu seiner unideologischen Unterwürfigkeit gegenüber dem herrschenden System. Um so herber ist die Verbitterung, als er bei der Entnazifizierung als belastet die Uniform ausziehen muss.

Wie für den Vater ist auch für den Sohn Ordung und Gewohnheit ein kaum zu überbietendes hohes Gut und dazu zählt als Leibgericht gefüllter Hackbraten mit dicker brauner Soße und Kartoffeln, im Volksmund "Falscher Hase" genannt. Und "Falscher Hase" ist auch der Titel dieses ebenso trockenhumorigen wie galle-bitteren Romans, in dem der Sohn den Vater an Spießigkeit noch um Längen übertrifft. Vielleicht ist es eine Rache dafür, dass ihn der gestrenge Heinrich Theodor als Heini quasi kleingetauft hat, denn der Junge ist schon früh von lähmender Gleichgültigkeit erfüllt, gepaart mit sinnleerer Angst vor jeder Art von Veränderung.

So kommt es einer gewaltigen Erschütterung gleich, als sich der einfallslose, leergebrannte Jüngling, der sich bei Frust mit Süßem überfrisst, beim Zahnarzt in dessen Helferin Maschula verknallt. Aberwitzige Torturen steht er durch, nur um ihr auf dem Marterstuhl immer wieder nahe zu sein. Und er setzt noch einen drauf, als die absolut heimlich Angebete beim Mauerbau 1961 im Osten verschwindet. Heini wechselt einfach ebenfalls hinüber und findet sich als extremer Gehorcher problemlos zurecht. Als dem frischgebackenen Volkspolizisten alsbald in der Kneipe nebenan erstmals Falscher Hase serviert wird, ist klar: "Heini war zu Haus."

Als Untertan schlechthin lebt er angepasst, linientreu und bedürfnislos. Doch Heini isst nicht nur tagtäglich seinen Falschen Hasen, hinter seiner krampfhaften Leere verbirgt sich auch die Tücke des Verschmähten, die ihn sogar zum skurrilen Mörder werden lässt. Heini ist selbst kein 'echter' Hase und entpuppt sich als ein spießiger Dämon, wie ihn besonders totalitäre Systeme hervorbringen in ihrem dumpf-authoritären Ordnungsmief.

Kerstin Hensel ist es meisterhaft gelungen, gleich zwei Charaktere so zu zeichnen, dass sie auf überzeugende Weise fesseln, obwohl sie nicht einmal Mitlied geschweige denn Sympathie zu wecken vermögen. Außerdem beweist sie sich mit ihrer lakonischen und messerscharf treffenden Sprache als faszinierende Stilistin.

 

# Kerstin Hensel: Falscher Hase; 223 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wanJULIUS)

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