LOUIS de BERNIERES: "TRAUM AUS STEIN UND FEDERN"

Einen grandiosen Kosmos hat der britische Erfolgsautor Louis de Bernières in dem großen Epos "Traum aus Stein und Federn" erfunden. Doch wie bunt und lebensprall dieses Städtchen Eskibahce an der türkischen Südküste auch erscheinen mag – was der Autor hier aus jener schicksalhaften Zeit vor rund 100 Jahren erzählt, hat einen sehr realen Hintergrund.

Damals um 1900 herrschte hier im Osmanischen Reich eine Idylle, in der das Miteinander von Türken und Griechen, von Moslems und Christen allenfalls mal durch privaten Zwist gestört wurde. Es ist ein amüsantes Geflecht aus solch fein gezeichneten Gestalten wie dem reichem Rustem Bey und seiner tscherkessischen Geliebten Leyla, der wunderschönen blutjungen Christin Philotei, in die sich der Ziegenhirte Ibrahim unglücklich verliebt, und den Freunden Mehmetcik und Karatavuk. Auch ein armenischer Apotheker spielt eine Rolle und der gockelhafte Schulmeister Leonidas wird noch übertrumpft vom sprücheklopfenden Iskander, dem Töpfer.

Doch schon früh ist da auch die Biographie des Mustafa Kemal, der einst mit Skrupellosigkeit, Intelligenz und Charisma als Kemal Atatürk aus dem "kranken Mann am Bosporus" die moderne Türkei schaffen wird. Noch aber entwickelt sich erst nach und nach der zunehmend grausamer werdende Kampf zwischen den Griechen und ihren jahrhundertelangen Besatzern. Es kommt zu den so genannten Balkankriegen und schließlich zum Ersten Weltkrieg. Auch in Eskibahce kehren nun von außen her Fremdenhass, Fanatismus und Blutrünstigkeit ein und zerstören alles, was das gemeinsame Leben ausmachte.

Unglück und entsetzliches Leid breiten sich allenthalben aus und es sind Schilderungen aus jener barbarischen Schlacht um die Halbinsel Gallipoli von 1915 dabei, wie sie in dieser beklemmenden und dabei ebenso poetischen wie lakonischen Art und Weise selten so meisterhaft und zugleich fast unerträglich zu finden sind. Und aus diesem Elend erwachsen die großen Exzesse von Hassausbrüchen zwischen Nachbarn, die seit Kindertagen zusammenlebten, und es folgen die Vertreibungen der Christen nach Griechenland und der Mohammedander von dort, nachdem es bereits zuvor den Völkermord an den Armeniern gegeben hat.

Man ahnt den Ursprung des mörderischen Schlachtens zwischen den Volks- und Religionsgruppen auf dem Balkan im ehemaligen Jugoslawien der 90er Jahre, um so plastischer entstehen die Bilder dieses gleichwohl so orientalisch opulenten Romans vor Augen. Ein wahrhaft ausuferndes Epos ist das, hellsichtig, viele erfundene wie historisch verbürgte Handlungsstränge virtuos verknüpfend. Nichts für Zartbesaitete, aber ein großes, für die Dauer geschriebenes literarisches Werk.

 

# Louis de Bernières: Traum aus Stein und Federn (aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié); 669 Seiten; S. Fischer, Frankfurt;

€ 19,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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