MICHAIL KONONOW: "DIE NACKTE PIONIERIN"

Mit Verspätung liegt nun mit Michail Kononows Roman "Die nackte Pionierin" ein Stück großer russischer Literatur vor. Schon während der Perestroika verfasst, konnte das Werk erst 2001 veröffentlicht werden, denn es rührte gar zu radikal am stets hochgehaltenen Mythos vom glorreichen 'Vaterländischen Krieg'.

Erzählt wird die wahrhaft groteskte Geschichte der erst 14-jährigen Offiziershure Marija, allgemein Motte genannt. Sie erzählt in ebenso naiv-direkten wie auch trocken ironischen Monologen da von ihem persönlichen Fronttheater der horizontalen Art. Im Russischen bis dato quasi Unsagbares führt sie so offen und schonungslos aus, dass es wahrlich der Gloriole des Heldentums deftige Kratzer versetzt.

Unablässig berichtet sie von den verschiedenartigsten Offizieren, die ihre eiligen Gelüste bei ihr befriedigen. Mal plappernd, mal mit noch kindhaftem Ernst entlarvt sie die Ängste, Verklemmtheiten und verschrobenen Haltungen dieser Kriegshelden, die dem Tod im nächsten Augenblick wieder entgegenschreiten müssen und dies durchaus nicht sonderlich heroisch tun. "Die Nation spielt also nicht die erste Geige", stellt Motte nach einem besonders schrägen Akt fest und sie merkt gar nicht in ihrer kindlichen Logik, dass auch sie nur zu Verbrauchsmaterial des Krieges gemacht worden ist.

Ihre Überlebensstrategien sind anrührend und ihr Fetischismus, mit dem sie weiße Schlüpfer sammelt, ist um so beklemmender angesichts dieser seltsamen Unschuld ihres Herzens. Saubere Schlüpfer mit gutem Gummi und ein Freier, der nicht zu barbarisch mit ihrem noch kindhaften Körper umgeht, das sind nicht wirkliche Glücksmomente – wo sollten die wohl herkommen in der dumpfen Frontödnis?! – es sind Lichtblicke in einem Leben, das kaum die Bezeichnung Existieren verdiente.

Eine Simplicissima wie von Sinnen ist diese 'Motte', die da fast spielerisch und zugleich in tragikomischem Fatalismus so manches hehre Sowjet-Ideal hohl erscheinen lässt. "Die nackte Pionierein" ist ein hartes Stück Literatur, das mit seiner wuchtigen Sprachgewalt und der packenden Nähe zur Protagonistin anrührt. Man wird dieses Buch nicht wieder vergessen.

 

 

# Michail Kononow: Die nackte Pionierin (aus dem Russischen von Andreas Tretner); 288 Seiten; Antje Kunstmann Verlag, München; € 21,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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