GABRIEL GARCIA MARQUEZ: "LEBEN, UM DAVON ZU ERZÄHLEN"

"Meine Mutter bat mich darum, sie zum Verkauf des Hauses zu begleiten." So überraschend unspektakulär beginnt Gabriel Garcia Marquez den ersten Teil seiner Autobiographie. Und doch ist das Wesentliche bereits wie in seinen Romanen mit dem ersten Satz angedeutet, denn es geht um die Familie, um die Zeit und um Aracataca, den Ort seiner Kindheit. Außerdem haucht der kolumbianische Literatur-Nobelpreisträger von 1982 dieser Lebenserzählung mit einem eleganten dramaturgischen Dreh eine geradezu jugendliche Frische ein, indem er nicht die Memoiren eines 75-Jährigen niederschreibt, sondern sich in die noch unverklärten Erinnerungen des jungen Schriftstellers noch vor der Karriere versetzt.

"Leben, um davon zu erzählen" nennt der längst zum lateinamerikanischen Volksschriftsteller gewordene Garcia Marquez diesen Memoirenband, der sich liest wie seine berühmten Romane. In der Tat war sein Leben schon in diesen ersten 28 Jahren seines Lebens, die dieses Buch umfasst, außerordentlich ereignisreich. Der Autor greift allerdings auch zurück in die Vorgeschichte seiner Familie, schließlich wurde der beeindruckende Großvater Vorbild für Aureliano Buendia in "Hundert Jahre Einsamkeit" und die Liebesgeschichte seiner Eltern floss ein in den ähnlich großartigen Bestseller "Die Liebe in den Zeiten der Cholera".

Sinnenfroh, lebensnah und in prächtigen Farben erzählt Garcia Marquez da vom hindernisreichen Werben seines Vaters um die Mutter, dem er selbst dann am 6. März 1927 als Erstgeborener entsprang. Das ist schon für sich ein reich ausgeschmückter und ebenso handfest wie gegenwärtig erzählter Liebesroman und sollte er nicht in Gänze authentisch sein, so ist er doch wunderschön dem realen Geschehen nachempfunden. Garcia Marquez sagt selbst dazu, dass er nicht mehr in der Lage sei, die Grenze zwischen Leben und Poesie auszumachen. Ohnehin muss ein günstiges Klima für seine früh sehr vehement verfolgte schriftstellerische Gabe in der Familie geherrscht haben in "diesem verrückten Haus, vor allem wegen des Charakters der zahlreichen Frauen, die mich großgezogen haben."

Wie die Frauen hat ihn aber auch dieses Heimatland Kolumbien geprägt, denn schon zu seinen Jugendzeiten war es ein brodelndes Land, in dem das schnelle Beenden von Menschenleben durch Gewalt nur noch vom ungezügelten Zeugen neuen Lebens übertroffen wurde. Die ständigen sozialen und politischen Verwerfungen beeinflussten ihn bereits in seinen frühen Tagen als Schriftsteller und rasender Zeitungsreporter.

Die Jahre im Internat in Bogota wie die Lehrjahre als Journalist sind nicht nur farbig und spannend geschildert, sie beweisen auch viel Fähigkeit zur Selbstironie und seine Offenheit gegenüber eigenen Schwächen wartet sogar mit einem sensationellen Bekenntnis auf, dem persönlichen Drama mit der Orthographie: "Ich habe sie nie verstanden." Als ob das den Welterfolg hätte tangieren können, auf den der 28-Jährige zum Ende dieses ersten Teils der Memoiren allerdings noch warten muss. Und der Autor versteht es wie stets, die Neugier hochzuhalten: er fliegt nach Europa und deutet an, dass die von ihm angebetete Mercedes auf seinen letzten Brief zumindest antwortet. Fortsetzung folgt!

 

# Gabriel Garcia Marquez: Leben, um davon zu erzählen (aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz); 604 Seiten; Kiepenheuer & Witsch, Köln; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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