BRADY UDALL: "DER BIERDOSENBAUM" "Dürfte
ich nur eine einzige Begebenheit aus meinem Leben berichten, ich wählte diese: Ich war
sieben Jahre alt, als der Postbote meinen Kopf überfuhr." Mit diesem genialen Satz
beginnt Brady Udalls "Der Bierdosenbaum" und sein Debütroman schließt sich
diesem Auftakt in grandioser Weise an. Erzählt
wird die Geschichte des Halbindianers Edgar Mint, der im Apachen-Reservat von San Carlos,
Arizona, unehelich zur Welt kam. Gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebt er den Unfall,
doch er ist aus einer dieser Familien, die das Unglück ständig anziehen. Ist er im
Krankenhaus nach drei Monaten Koma noch der Wunderjunge, verschlägt es ihn danach als
wandelnde Zielscheibe in das wüste Willie-Sherman-Internat, wo er Höllenqualen durch die
renitenten und jederzeit gewaltbereiten Mitschüler erleiden muss. Wer aber
einen so entsetzlichen Unfall überlebt hat, der hat einen gewissen Anspruch auf
Unsterblichkeit und Edgar entwickelt mit einer ungeheuren Leidensfähigkeit allmählich
sogar eine Art Resistenz gegen all die unaufhörlichen Tiefschläge der nächsten Jahre.
Und es gelingt ihm sogar sich zu wehren und als sei es das Recht des niemals Aufgebenden,
stehen ihm mehrfach regelrechte Schutzengel der eher unauffälligen Sorte in größter Not
bei. Wie er ohnehin den ein oder anderen Freund oder Leidensgenossen gewinnt, von der
Schattenseite des Lebens wie er. Die
wichtigste Hilfe in dieser härtesten aller Schulen des Lebens jedoch bekam er noch im
Krankenhaus. Dort stellte sich als eine Unfallfolge heraus, dass er unfähig war, mit der
Hand zu schreiben, und man schenkte ihm eine Schreibmaschine. Auf ihr hält er von da ab
unablässig seine Erlebnisse und Gedanken fest, ohne je larmoyant dabei zu werden. Wie ein
Oskar Matzerath schildert er die Jahre seiner fesselnden Odyssee mitleidlos, nüchtern.
Die Distanz zu sich selbst aber auch die Verwüstungen seines Ich durch die Entwurzelung
und den erinnerungslosen Verlust der ersten sieben Lebensjahre zeigen sich jedoch stets
erneut im unmerklichen Hinübergleiten vom Ich-Erzählen zur dritten Person. Es wird
ein Schelmenroman von ungeheurer Farbigkeit und erzählerischer Kraft erzählt, der immer
wieder mit teils makabrem Humor und trockener Satire besticht. Da werden Szenen
ausgebreitet, die so von brutaler Situationskomik strotzen, dass man entsetzt den Atem
anhält, um dann doch grinsen zu müssen, denn dieser einzigartige Edgar Mint bringt es
stets auf Neue fertig, auf jede seiner kleinen oder großen Katastrophen noch einen
trockenen Spruch obenauf zu setzen. So viel
Absurdes und dennoch zutiefst Menschliches, das ist nur erträglich aufgrund dieser
lakonischen Sprache, die Sentimentalität gar nicht erst aufkommen lässt. Tragik und
Komik hat Autor Udall bravourös verknüpft und wenn Edgar Mint dann frei nach Herbert
Achternbusch zwar keine Chance hat, diese aber nutzt, dann gelingt selbst ein Happy-End,
das sogar Hartgesottene akzeptieren werden. Fazit: ein Meisterwerk, das man nicht mehr
vergessen wird. |
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# Brady Udall: Der Bierdosenbaum (aus dem
Amerikanischen von Henning Ahrens); 400 Seiten; Deutsche Verlagsanstalt,
Stuttgart/München; 25 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) |
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Kennziffer: Bel 123 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de |