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FLORIAN ILIES: „WENN DIE SONNE UNTERGEHT“
1933 war für Thomas Mann (1875-1955) ein Schicksalsjahr sondergleichen, eine scharfe Wegscheide mit einem großen Davor und einem ungewissen Danach. Dieser seltsamen Schwebezeit hat sich nun im Thomas-Mann-Jahr der Erfolgsautor Florian Ilies angenommen.
„Wenn die Sonne untergeht. Familie Mann in Sanary“ ist ein romanhaft erzählendes Sachbuch und diese Form erscheint eingedenk der Vita dieser außergewöhnlichen Familie ganz und gar angemessen. Ausgangspunkt ist der 11. Februar 1933, als Thomas Mann und Ehefrau Katia eine Auslandsreise antreten.
Erst einige Vorträge, dann ein Urlaub im schweizerischen Arosa sind vorgesehen, und Thomas Mann ahnt noch nicht, dass dies der Beginn des Exils wird. Der weltberühmte Literat hat die Nazis zwar mit etlichen viel beachteten Texten angegriffen, doch selbst nach deren Wahlsieg am 5. März hoffen die Manns auf eine baldige Heimkehr in ihre Münchner Villa. Die Kinder Erika und Klaus aber warnen inständig, die drohenden Gefahren wären viel zu groß.
Autor Ilies konnte für die Ereignisse des Jahres 1933 nicht nur auf zahlreichen Veröffentlichungen der betroffenen Akteure zurückgreifen, er wertete auch ein Vielzahl von Tagebüchern, Briefen und anderen teils nur schwer zugängliche Aufzeichnungen aus. Wo Thomas Mann beim Ankommen in Frankreich ins Tagebuch gewohnt hanseatisch kühl vermerkte: „Schmerzen der Trennung von einem altgewohnten Zustand.“
Über Le Lavandou an der Côte d'Azur ging es für das Paar zunächst ins östlichere Bandol, wo sich nach und nach immer mehr Familienmitglieder im Grand Hotel einfanden bis hin zu den Schwiegereltern Pringsheim – sehr wohlhabend aber jüdisch. Während der manierierte Patriarch mit seiner natürlichen Arroganz von Ehefrau Katia mehr als nur den Alltag managen ließ, stellte er zur Familie mit den sechs Kindern und dem älteren Bruder Heinrich fest: „Wir sind eine erlauchte Versammlung – aber einen Knacks hat jeder.“
In eleganter Dramaturgie springt das Geschehen immer wieder auch zu den anderen Manns, ihr Schicksal im Reich, in dem die Nazis drastisch die Zügel anziehen, und wie sie versuchen, Geld und Eigentum ins Exil zu retten. Das sind spannende Vorgänge und vor allem der vom Vater wenig geachtete Golo – er besonders leidend „im emotional sehr unbeheizten Hause Mann“ - macht sich unter stetiger Gefahr verdient dabei.
Es wird offensichtlich, dass der Grandseigneur Thomas Mann einen erheblichen Teil seines Vermögens – darunter die 200.000 Reichsmark aus dem Literatur-Nobelpreis von 1929 ohnehin die Schweiz deponiert hatte. Auch in der Münchner Villa verborgene 60.000 RM als Barschaft vermochte Sohn Golo ins Exil schleusen.
Ökonomisch also ging es den Manns und einigen anderen der nach Südfrankreich geflüchteten Künstlerkollegen weit besser als üblichen Emigranten. Doch „der Zauberer“, wie die Familie den oft schwierigen Vater nannten, litt nicht nur wegen allerlei Mängeln des gewohnten Lebensniveaus unter „Behagensminderung“.
Und ein lange wohlgehütetes Geheimnis - dass der Lübecker Patriziersohn weitaus mehr Männern zugetan war als Frauen und das nicht nur platonisch – erlebt hier einen heiklen Siedepunkt. Natürlich war Thomas Mann diesen damals strafrechtlich verfolgten und gesellschaftlich tödlichen Neigungen absolut heimlich nachgegangen.
Allerdings hatte er vielen seiner Tagebücher seine homoerotischen Erlebnisse und darüber hinaus ausschweifende Wunschvorstellungen anvertraut. Würden die Nazis nun derartiges Material über diesen zutiefst verhassten Kritiker in die Hände bekommen, hätten sie endlich eine Handhabe, ihn in Ruf und Existenz völlig zu vernichten.
Und diese Tagebücher lagerten in der Villa in der Poschingerstraße, die die Nazis ohnehin bald arisieren wollten. Als Golo Mann diesen brisanten Schatz jetzt samt weiterer Dokumente unbeobachtet aus der Villa schmuggelte und in einem überschweren Koffer auf den Postweg ins Exil brachte, begann für Thomas Mann in Bandol die schlimmste Leidenszeit überhaupt.
Man kann es nur als Treppenwitz der Geschichte bezeichnen, was sich tatsächlich auf dem Weg des Koffers hin zu seinem erlösten Empfänger nach fünf nervenaufreibenden Wochen ereignete. Der Schriftsteller fand sämtliche Tagebücher vor, offenbar unangetastet. Was jedoch fehlte, waren Honorarverträge und dergleichen Papiere. Wie sich herausstellte, hatte an der Grenze ein Kriminalbeamter den Koffer inspiziert und diese Papiere frohlockend nach oben weitergereicht – diesen vermeintlich rufschädigenden „Einblick in die Höhe der Einkommen von Thomas Mann“!
Und in diesem Mai 1933 löste sich auch die Qual der Enge mit so viel Familie, denn auf Vermittlung von Sybille von Schoenebeck – der später berühmten Schriftstellerin Sybille Bedford – erstanden die Manns die wunderschön auf einer Bergerhöhung oberhalb des Hafens von Sanary-sur-Mer gelegene Villa „La Tranquille“.
In diesem idyllischen Fischerstädtchen zwischen Bandol und Toulon hatten sich bereits etliche namhafte deutschsprachige Intellektuelle ins Exil begeben, unter ihnen Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht. Es wird ein flirrender Sommer, endlich sind alle Kinder der Manns aus dem Reich entkommen und Thomas Mann ist wieder intensiv kreativ.
Es sind Monate eines seltsamen Schwebezustands für die Manns als privilegierte Exilanten. Florian Ilies beschreibt auch das mit großartiger Prosa und einem steten ironischen bis satirischen Unterton. Als Thomas Mann schließlich am Ende dieses Sommers 1033 samt Gefolge nach Zürich umzieht, findet er fast alle persönlichen und materiellen Dinge seines alten Lebens wieder vor: „Nur seine Heimat, die hat er verloren.“
Mit dieser Feststellung endet eine brillante Hommage, so genussvoll gehalten wie die Werke der außergewöhnlichen Zielperson.


# Florian Ilies: Wenn die Sonne untergeht. Familie Mann in Sanary; 329 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 26

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)