- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Non-Fiction)
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JOZSEF DEBRECZENI: „KALTES KREMATORIUM“
Das KZ Auschwitz wurde am 27. Januar vor genau 80 Jahren von sowjetischen Truppen befreit, Seither weiß die Weltöffentlichkeit, dass dies der unmenschlichste Ort der Menschheitsgeschichte war, den man sich so nicht wirklich vorstellen kann.
Jozsef Debreczeni kam im Rahmen der Transporte aus Ungarn als einer von 400.000 Juden am 1. Mai 1944 in das riesige Konzentrationslager mit dem angeschlossenen Vernichtungslager Birkenau. Der Mann aus der Vojvodina (ehemaliges Jugoslawien) überlebte diese Hölle auf Erden gegen jede Wahrscheinlichkeit.
Und er wurde ein wortgewaltiger Berichterstatter. Bereits 1950 erschien sein auf Ungarisch geschriebener Tatsachenroman „Kaltes Krematorium“ über seine Leidenszeit. Aus schwer verständlichen Gründen sollte es bis 2923 dauern, dass dieses Meisterwerk auch auf Englisch und in anderen Sprachen der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.
Nun also auch in der Sprache der damaligen Täter, wozu „Kaltes Krematorium“ den Untertitel „Bericht aus dem Land namens Auschwitz“ trägt. Jozsef Debreczeni hat seine Geschichte als ein gnadenlos authentisches Doku-Drama geschrieben. Das jedoch mit einem entscheidenden Unterschied – der Autor und Ich-Erzähler hat diesen tiefsten Abgrund der Unmenschlichkeit höchstpersönlich durchlitten.
Ein ebenfalls gewichtiger Unterschied zu vielen Berichten von Holocaust-Überlebenden ist die Unmittelbarkeit seines Schreibens, denn er hat das Grauen ja nur wenige Jahre nach seiner Befreiung niedergeschrieben. Vor allem aber war Debreczeni (1905-1978) zur Zeit seiner Verschleppung bereits ein versierter Zeitungsjournalist und Schriftsteller. Das erklärt auch die gnadenlose Präzision, mit der er auch kleinste Details ohen jedes Tabu leidenschaftslos beschreibt. Da klingen schon die Schilderungen des Transports in den überfüllten Eisenbahnwaggons und die Ankunft in Auschwitz am 1. Mai 1944 barbarisch.
Debreczeni macht die systematische Entmenschlichung der Häftlinge qiälend spürbar. Bis hin zum Kapo-Gefüge der Hilfswilligen, die um geringer, von der SS verteilter Vorteile zu den grausamen Handlangern der Mörder wurden. Und der selbst Malträtierte offenbart dazu die Fratzen eines unverfälschten Lokalkolorits: „Sklaven, die Sklaven verprügeln.“
Auschwitz steht hier als Synonym für eine Chronologie des Verlusts, wo Menschen von Beginn an ihrer Identität und Menschlichkeit beraubt wurden. Da strotzt es vor Zynismus, wenn die weniger Gesunden und Arbeitsfähigen als vermeintliche Vorzugsbehandlung per Lastwagen vom Bahnsteig bis ins Lager transportiert werden – als direkter Nachschub für die Gaskammern.
Debreczeni selbst überlebt nur, weil er von Auschwitz wegkommt ins Arbeitslager Riese, das zum KZ Groß-Rosen (westlich von Breslau) gehörte. Dort funktionierte die in der „Endlösung der Judenfrage“ vorgesehene Vernichtung der Juden durch ein ausgeklügeltes Ernährungsprinzip: gerade genügend Nahrung, um den Betroffenen für maximal mehrere Monate als Arbeitssklaven ausnutzen zu können.
Auch der Autor gehört nun zu den tausenden von Häftlingen, die am „Projekt Riese“ täglich 14 Stunden und mehr an einer Untergrundfestung im Eulengebirge schuften müssen. In den Unterkünften herrschen Dreck und Ungeziefer und die ausgemergelten Häftlinge wandeln sich zu „übelkeitserregenden Kadavern“.
Auf Grund von Mangel, Schmutz und Fäkalien bricht in dem extrem harten Winter dann Fleckfieber aus, das schon für normale Gesunde lebensbedrohlich ist. Auch Debreczeni wird von dieser „Kriegspest“ befallen, die den bis auf 35 Kilogramm abgemagerten 40-Jährigen nach langem Siechtum nur mit viel Glück überleben lässt.
Erst in der Nacht auf den 4. Mai 1945 sind die SS-Truppen plötzlich verschwunden und es rücken Soldaten der Roten Armee ins Lager ein. Jozsef Debreczeni, Häftling Nummer 33031, kommt als einer der wenigen davon und er wird zum wortgewaltigen Chronisten vom Vegetieren in der kalten Hölle.
Ein erhellendes Nachwort von Carolin Emcke und ein Glossar sorgen für ein besseres Verständnis für die Hintergründe dieses als „verlorenes Meisterwerk“ viel zu spät allgemein veröffentlichten Berichts dieser wohl monströsesten Phase der Weltgeschichte.
# Jozsef Debreczeni: Kaltes Krematorium. Bericht aus dem Land namens Auschwitz (aus dem Ungarischen von Timea Tankó); 272 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 25
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)