- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Non-Fiction)
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PETER von BECKER: „ICH BIN EIN MAGNET FÜR ALLE VERRÜCKTEN“
„Ich bin verblödet. Nein, das ist wahr, ich habe mich immer für blöd gehalten – nur manchmal gelingt wir was.“ Das sagte Albert Einstein acht Tage vor seinem Tod am 18. April 1955 zu Johanna Fantova. Dass das völlig unzutreffend war, ist eine Tatsache, dass es jedoch wörtlich überliefert und schließlich veröffentlicht wurde, ist eine Sensation.
Die attraktive gebürtige Tschechin Fantova war allem Anschein nach Einsteins letzte Liebe. Und sie schrieb den Inhalt der allabendlichen Telefongespräche von 1953 bis 1955 mit. Vermutlich im Einverständnis mit dem genialen Wissenschaftler, der selbst ja nur selten Tagebuch führte.
Erst 2004 entdeckte ein pensionierter Kurator die insgesamt 62 Seiten, auf denen „Hanne“ die vielen Originaltöne mit der Schreibmaschine abgetippt hatte, im Archiv der Firestone Bibliothek der Universität Princeton, Einstein Wissenschaftsort der letzten jahre. Bis zur endgültigen Veröffentlichung dauerte es noch einaml Jahre, doch nun im 70. Todesjahr eines der der größten und berühmtesten Genies der Neuzeit liegt der Fund vollständig vor.
Unter dem Titel „Ich bin ein Magnet für alle Verrückten“ hat Peter von Becker jedoch nicht nur diese Niederschriften zusammengefasst. „Die Einstein-Protokolle – Sein Leben, seine letzte Liebe, sein Vermächtnis“ lautet der Untertitel, denn der Publizist stellt die Originaltöne in einen größeren Kontext.
Ein Streifzug durch das zweite Leben des Nobelpreisträgers, insbesondere mit dem aufziehenden Kalten Krieg in der Weltlage und den Widerlichkeiten der McCarthy-Ära in den USA – wovon vieles höchst aktuell erscheint! - aber auch und ganz besonders Einsteins dezidierte und zuweilen scharfzüngigen Analysen von politischen Ereignisse und wichtigen Akteuren faszinieren.
Der Vater der Relativitätstheorie erweist sich hier als wahrlich kein zerstreutes Genie. Und er, der sich als säkularen, kosmopolitischen Juden und Pazifisten mit dem Traum einer Weltregierung der Vernunft sah, war nicht nur kein bisschen weltfremd, noch am 9. Februar 1954 bezeichnete er sich gegen Fantova als alten Revolutionär und „politisch bin ich noch immer ein feuerspeiender Vesuv.“
Auch eine klare Äußerung zu der weltberühmten Foto-Ikone machte er gegenüber seiner Vertrauten: „Die ausgestreckte Zunge gibt meine politische Anschauungen wieder.“ Das Kennenlernen der Beiden ist im Übrigen exakt festgehalten: es fand auf der Feier zu seinem 50. Geburtstag am 14. März 1929 in Prag statt.
Die 22 Jahre jüngere Frau, die in jenen 50er Jahren als Bibliothekarin der Universitätsbibliothek arbeitete, hat übrigens nur die im Original festgehaltenen Aussagen Einsteins in den Niderschriften erfasst, ohne ihre eigenen Aussagen aus den Gesprächen hinzuzufügen.
Während sie dabei viele messerscharfe Beurteilungen aktueller Geschehnisse in aller Welt festhielt, fing sie jedoch auch einen wunderbaren Schatz eines Gedankenreigens ein, der den hohen Sinn des Genies für Humor, Schalk und Ironie unterstreicht.
Angesichts Unmengen täglicher Post an ihn fällt da seufzend der Satz von all den Verrückten, für die er offenbar ein Magnet sei, aber auch das Bonmot zum Weihnachtsfest „Ich kann mit Jesus Christus sagen, ich bin nicht von dieser Welt!“ Oder er warnt Nachbarn vor der Heirat ihres Sohnes, denn das sei „ein unglücklicher Versuch, aus einem Ereignis einen Zustand zu machen.“
Doch auch Romantisches und durchaus auch Zweideutiges hat Johanna Fantova festgehalten wie auch kleine Gedichte und Karikaturen für sie. Und all das hat Peter von Becker nun fesselnd und sehr unterhaltsam als anspruchsvolles Lesevergnügen zusammengefasst.
# Peter von Becker: Ich bin ein Magnet für alle Verrückten. Die Einstein-Protokolle – Sein Leben, seine letzte Liebe, sein Vermächtnis; 272 Seiten, div. Abb.; Heyne Verlag, München; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
