- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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CAMILLA BARNES: „KEINE KLEINIGKEIT“
Camilla Barnes lebt und arbeitet in Paris. Nun hat die versierte Theaterfrau, die aus England stammt, ihren ersten Roman vorgelegt. Der ursprünglich ein Bühnenstück werden sollte, was man ihm durchaus auch anmerkt.
„Keine Kleinigkeit“ heißt der Titel und diese Tragikomödie beginnt wie ein Drehbuch, wenn sich da ein ziemlich exzentrisches Ehepaar beharkt. Beobachterin ist Ich-Erzählerin Miranda, Ende 40 und biografisch nah an der Autorin.
In jungen Jahren war sie aus England nach Frankreich gezogen, um Schauspielerin zu werden. Aber auch, um sich von den schon da schwierigen Eltern abzusetzen, dem Philosophie-Professor, inzwischen Ende 70, und der wenig jüngeren Mutter, die immer und mit allem auf sehr bestimmte Weise Recht hat.
Zehn Jahre später die große Überraschung, als der Vater frustriert in den Vorruhestand geht und sich das Ehepaar ebenfalls in Frankreich niederließ, in einem alten Provinzlandhaus. Miranda besucht die Beiden pflichtgemäß regelmäßig, oft begleitet von ihrer Tochter Alice, einer angehenden Chemie-Studentin.
Nur die ältere Schwester Charlotte, Anfang 50, kommt eher selten aus England zu Besuch. Miranda dagegen genießt die steten Scharmützel der beiden Alten sogar mit gewisser Bosheit und witzigen Kommentaren. Und die haben es immer wieder in sich, wobei der Professor seine Schwierigkeiten mit den Hörgeräten häufig als Geheimwaffe nutzt.
Mutter dagegen hat nie selbst Probleme, es sei denn mit Geräten, die nicht funktionieren. Dann sind sie eben kaputt und Verursacher ist selbstverständlich Dad. Gegenrede ist hoffnungslos, denn Fakten und Logik perlen an Mutter ab. Und sie weiß sogar besser als ihr Gatte, was ihm gefällt oder schmeckt und was nicht.
Was wiederum in das Ressort Spleen fällt: znetrales Haushalsgerät ist seit Jahrzehnten die Tiefkühltruhe, denn Mutters Obsession ist das Sammeln und die Konservierung von Lebensmitteln. Ständig wird etwas eingefroren und dann werden auch schon mal Kalbskoteletts serviert, die seit 1983 im ewigen Eis geruht haben.
Der Professor weicht in seinen Freiraum aus, zu dem Katzen, Enten und ein Lama-Pärchen gehören. Zwar gibt es ständig Wortklaubereien über Mutters hirnrissige Gedankenketten und Behauptungen, gleichwohl lässt er sich bei aller Schlagfertigkeit stoisch herumkommandieren: „Weil ihm Gegenwehr zu mühsam ist.“
Im bühnenreifen Wechsel von Prosa, Bühnentexten samt egieanweisungen und Briefen funkeln da die Schlagabtausche einschließlich Mirandas sarkastischen Bewertungen. Doch die Autorin treibt auch ein gewisses Verwirrspiel über alte Familiengeheimnisse. Die zudem nicht immer korrekt und lückenlos in der eigenwilligen Erinnerung geborgen zu sein scheinen.
Genau genommen passiert gar nicht viel und doch entwickelt der Roman eine tragikomische und zugleich recht leichtfüßige Sogwirkung. Der überaus geistreiche Lesegenuss profitiert im Übrigen sehr von der hervorragenden Übersetzung, die auch all die feinen Nuancen im Wechsel von Boulevardkomödie und Tiefgang einfängt.
# Camilla Barnes: Keine Kleinigkeit (aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren); 251 Seiten; Piper Verlag, München; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
