- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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CHIMANANDA NGOZI ADICHIE: „DREAM COUNT“
Über zehn Jahre dauerte es, bis Chimananda Ngozi Adichie einen neuen Roman vorlegte, doch das warten hat sich gelohnt, denn ihr neues Werk ist ebenso feministisch wie gewaltig.
„Dream Count“ hat die nigerianisch-amerikanische Bestsellerautorin den Roman überschrieben. Das ist angelehnt an den Begriff „Body Count“, mit dem man Opferzahlen umfasst. Hier sind es die Träume von vier Frauen von einem eigenständigen Leben – und immer auch verbunden mit Traummännern.
Doch die gehen allesamt schief und männliche Leser seien vorweg gewarnt: die vermeintlichen Herren der Schöpfung erweisen sich als selbstherrliche Versager sei es als Feiglinge oder in einem Fall sogar als übergriffiger Dreckskerl.
Zentralfigur ist Chiamaka, die in ihrer nigerianischen Heimat in der Oberschicht aufwuchs und nun als bestens situierte Möchtegern-Reiseautorin in Washington, DC, lebt. Auf die 40 zugehend, fehlt der selbstbewussten Schönen nur noch eines – der Mann für eine perfekte Beziehung. Die diversen bisherigen Affären aber liefen allesamt ins Leere.
Bei aller Freiheit der Selbstverwirklichung quälen die Ich-Erzählerin im Übrigen die Ängste der in den USA gerade mächtig tobenden Pandemie. Da hat ihre Freundin Zikora, erfolgreiche Rechtsanwältin und ähnlich attraktiv, ein ganz anderes Problem: ihr vermeintlicher Traummann nimmt reißaus, als sie nun endlich schwanger geworden ist.
Ausgerechnet ihre Mutter, die in Nigeria einerseits als gestrenge Schulleiterin arbeitet, andererseits aber nach alter Tradition noch eine zweite Ehefrau neben sich duldet, wird zur unerwarteten großen Hilfe, als es zur Niederkunft kommt. War das Verhältnis stets angespannt, zeigt sie sich nun überraschend als warmherzige Freundin.
Auch die Dritte im Bunde gehört zu den privilegierten Kreisen , allerdings lebt Omelogor, Chiamakas gleichaltrige Cousine, in Nigeria. Auf großem Fuß, denn sie ist Bankerin und hat auf elegante Weise mit den landestypischen Geldschiebereien zu tun. Allerdings empfindet sie sich zugleich als Feministin und fördert bevorzugt Frauen.
Nun aber ist die Ich-Erzählerin, die bewusst unverheiratet und kinderlos lebt, über sich selbst verwirrt – wegen des unvermutet aufkommenden Wunsches nach späten Mutterfreuden. Bei all dem erfüllt Omelogor gleichwohl ganz den Inbegriff der stolzen afrikanischen Lady.
Und ist doch wie Chiamaka und Zikora trotz ihrer herausgehobenen Stellung von Rassismus und Frauenfeindlichkeit betroffen. Was allerdings auf die vierte der Frauen – und ihre Geschichte die faszinierendste Akteurin – noch ganz andere Dimensionen eröffnet. Kadiatou stammt aus ärmlichen Verhältnissen in Guinea und lebt als Asylantin in den USA.
Dass ihre Chefin sie als Freundin bezeichnet und sehr gut behandelt, kann den Druck auf sie als einfache Schwarze durch Rassismus und Vorurteile allenfalls mildern. Zumal sie Schlimmes durchlitten hat, weshgalb sie überhaupt bleiben durfte: als kleines Mädchen wurde sie Opfer einer traditionellen Genitalverstümmelung. Und die Gefahr, dass das auch ihrer kleinen Tochter angetan würde, war Grund für ihre Anerkennung als Asylantin.
Ausgerechnet sie erleidet nun einen furchtbaren neuen Schicksalsschlag, als sie in ihrem Zweitjob als Zimmermädchen von einem reichen Hotelgast rabiat missbraucht wird. Fast noch schlimmer als die explizit geschilderte Tat aber wird das anschließende, unglücklich verlaufende Gerichtsverfahren.
Die Autorin hat hier bewusst den Fall des französischen Präsidentschaftskandidaten Strauss-Kahn (2011) zum Vorbild genommen und macht Kadiatous – trotz Chiamakas Freundschaft alles andere als gleichberechtigte – Stellung unter den Vieren als Unterprivilegierte und Schwarze zu dem eigentlichen roten Faden des Romans.
Der ist ebenso souverän wie emotional geschrieben und dürfte vor allem weibliche Leser bis zur letzten Zeile fesseln und begeistern.
# Chimananda Ngozi Adichie: Dream Count (aus dem Amerikanischen von Asal Dardan und Jan Schönherr); 528 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 28
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
