- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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DAVID SZALAY: „WAS NICHT GESAGT WERDEN KANN“
Mit „Was ein Mann ist“ stand der ungarisch-britische Schriftsteller David Szalay bereits 2016 auf der Shortlist des Booker-Prize. Mit seinem mittlerweile sechsten Roman „Was nicht gesagt werden kann“ (Originaltitel „Flesh“) hat er jetzt den nach dem Literatur-Nobelpreis bedeutendsten Literaturpreis der Welt für das Jahr 2025 gewonnen.
Die Jury erklärte ihre Faszination über diesen Roman mit einer der wohl wortkargsten Hauptfiguren der Weltliteratur und wählte ihn einstimmig zum diesjährigen Sieger. Dieser Istvan ist 15, als mit seiner Mutter in eine andere Stadt in Ungarn zieht, in einen Wohnblock.
Spröde und schüchtern, tut er sich schwer mit sozialen Kontakten. Als ihn dann eine Hausnachbarin bittet, ihr beim Herauftragen der Einkäufe zu helfen, tut er dies anstandslos. Und ist verwirrt aber auch weiterhin willig, als ihn die 42-Jährige bei den nächsten Gängen körperlich berührt und und dies bald auch bis hin zu intensivem Sex ausweitet.
Es wühlt zunehmend auch Emotionen in dem Teenager auf, als er ihr dann jedoch seine Liebesgefühle erklärt, beendet sie die Beziehung drastisch. Was Instvan so in Aufregung versetzt, dass er in ihre Wohnung eindringen will. Als sich ihr nichtsahnender kränklicher Ehemann ihm entgegenstellt, kommt es aus Versehen zu einem tödlichen Treppensturz.
Erst nach dem harten Schnitt in eine Zeit, in der Istvan mit einer Belastungsstörung aus einem Auslandseinsatz als Zeitsoldat heimkehrt, erfährt man, dass er wegen des Todesfalls drei Jahre Jugendstrafe absitzen musste. Doch auch weiterhin lebt Istvan irgendwie nicht bewusst, vielmehr passiert ihm das Leben und er nimmt es fatalistisch hin.
Dabei bleibt ungesagt, warum es ihn schließlich nach London verschlägt, wo er ein einfaches Leben als Türsteher von Nachtclubs fristet. Bis ihm erneut eine Wendung widerfährt, als er eines Nachts einen Mann in einer dunklen Gasse davor bewahrt, regelrecht totgeschlagen zu werden.
Und wieder ist es ein anderer Mensch, der seinen Weg lenkt, diesmal auf sehr förderliche Weise, ohne dass Istvan je Großes Will oder solches vom Leben erwartet. Doch dieser Gönner ebnet ihm den Weg zum Job eines Security-Drivers bei der superreichen Familie Nyman, die in einer opulenten Villa residiert.
Während der schön ältere Milliardär meist in Geschäften abwesen ist, stößt er erneut auf eine selbstbewusste Frau die ihn alsbald verführt. Helen, um die 40 und blendend aussehend, weiß seine sehr bereitwilligen maskulinen Vorzüge sehr zu schätzen.
Doch auch in dieser Upper Class Welt bleibt Istvan ein lakonischer Genießer mit knappen Sätzen und seiner Universalantwort „Okay“, Auch das gute Leben nimmt er hin, ohne wirklich etwas zu erwarten oder gar zu fordern.
Überschwang bleibt ihm gänzlich fremd und so folgt er eher dem Wunsch Helens als seinem eigenen, als ihr Mann an Krebs stirbt und sie ihn heiraten will. Selbst bei dem nun einsetzenden recht normalen Familienleben und zu dem sogar das Glück eines gemeinsamen Kindes hinzukommt, bleibt seine stoische Verschlossenheit eine ihm selbst fremde Konstante in seinem Leben. Bis das Schicksal erneut zuschlägt und ihm Frau und Sohn durch einen Allerweltsunfall entreißt. Hinzu kommen die Anfeindungen von Thomas Nyman, dem Erben aus erster Ehe, der Istvan nun unnachgiebig auch existentiell ins Aus bringt.
Zwischen all dem Nichtgesagten schimmern Ansätze von innerer Tiefe auf, ihm selbst kaum verständlich. Und er geht zurück nach Ungarn, lebt wieder bei seiner Mutter, hat wieder eine Affäre mit intensivem Sex. Und so wie diese Partnerin sie begonnen hat, beendet sie sie auch. Er nimmt es so stoisch hin wie seinen Job als Security in einem Media-Markt.
Nach dem Tod der Mutter schließlich der letzte Satz: „Danach lebt er allein.“ Und diese aufs wesentlich reduzierte aber stets präzise Prosa hat bis hierhin und von Anfang trotz einer Kargheit der Worte und der Emotionen gefesselt, gegen die selbst ein Hemingway beinahe geschwätzig wirkt.
Fazit: ein wahrlich außergewöhnlicher Roman mit einer ebensolchen Hauptfigur, grandios in Szene gesetzt zu einem literarischen Meisterwerk. Das im Übrigen von Henning Ahrens exzellent ins Deutsche übertragen wurde.
# David Szalay: Was nicht gesagt werden kann (as dem Englischen von Henning Ahrens); 382 Seiten; Claassen Verlag, Berlin; € 25
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
