- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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ISABEL ALLENDE: „MEIN NAME IST EMILIA del VALLE“
Isabel Allende zählt zu den ganz Großen ihrer Zunft, seit sie 1982 mit „Das Geisterhaus“ die Reihe ihrer Welterfolge eröffnete. Mit jetzt 83 Jahren legt sie nun einen weiteren Roman vor und wie bei ihrem Debüt spielt die Familie del Valle ebenso eine Rolle wie das Land Chile, in dem die Autorin aufwuchs.
„Mein Name ist Emilia del Valle“ lautet der Titel und Isabel Allende lässt die am 14. April 1866 geborene junge Frau ihre Geschichte als Ich-Erzählerin ausbreiten. Man lernt sie 1873 als Siebenjährige kennen, in bescheidenen Verhältnissen in einem der ärmeren Viertel San Franciscos lebend.
Ihr Mutter Molly hat irische Wurzeln, ist fanatisch katholisch und wollte ursprünglich Nonnen werden. Doch während sie als Novizin in der Armenschule von Don Pancho arbeitet, wird sie von Gonzalo Andrés del Valle, einem attraktiven vermögenden Chilenen, verführt. Der Hallodri schwängert sie bei dieser einzigen körperlichen Begegnung und verschwindet. „Ich bin eine Strafe Gottes“, stellt Erzählerin Emilia dazu fest.
Um der endgültigen Schande zu entgehen, willigt die Gedemütigte ein, als der sanfte Don Pancho sie heiraten will. Für das Mädchen wird es ein Glücksfall, denn er ist liebevoll und er fördert sie auch in ihrer Neugier und Wissbegierde. Immerhin so sehr, dass sie mit 17 den ersten Heftchenroman verfasst.
Eine dramatische Räuberpistole, wie sie in diesen Zeiten sehr beliebt sind, aber auch nur unter einem männlichen Pseudonym erscheinen können. Und bald folgen immer mehr Romane von „Brandon C. Price“ und Emilia gelingt auch der nächste Schritt: der Einstieg als Journalistin bei der Tageszeitung „Examiner“ (auch Isabel Allende begann so einst ihre Laufbahn!).
Das alles liest sich rasant, bunt und voller Leben als fesselnde Memoiren, wie Emilia sich unerschrocken so weit durchsetzt, dass sie schließlich sogar auf eine Reportagereise ins ferne New York geschickt wird. Wo sie dem Bruder ihres journalistischen Mentors Eric Whelan begegnet, der sie nicht nur in die Geheimnisse der brodelnden Metropole sondern auch in die der Erotik einweiht.
Selbstbewusst genug, um dafür zu sorgen, dass ihr keine „Schande““ wie der Mutter passiert, kehrt sie gereift nach San Francisco zurück. Und es eröffnet sich eine unglaubliche Karrierechance und endlich auch unter ihrem eigenen Namen – sie soll Eric Whelan nach Chile begleiten, wo ein Bürgerkrieg tobt.
Man schreibt das Jahr 1891, Emilia del Valle ist 25 Jahre alt und ledig - „Aber gerade lockte ein Krieg mich mehr als ein möglicher Ehemann.“ Während der erfahrene Kollege sich nun um die militärischen Aspekte
kümmern soll, ist Emilia für gesellschaftliche Kolumnen zuständig.
Doch wie selbstverständlich überschreitet sie diese Auflagen und interviewt sogar José Manual Balmaceda. Er ist der autoritär regierende Präsident Chiles, der von den Kongressparteien und der Marine bekämpft wird. Zu liberal und fortschrittlich ist er vor allem den privilegierten Eliten und dem mächtigen Klerus.
Emilia begegnet allerdings auch Paulina del Valle aus der Oberschicht, einer ebenso herrischen wie reichen alten Dame. Und diese ist die Tante von Emilias Vater. Und sie trifft ihn tatsächlich, über die Maßen gealtert und todkrank. Im Gegensatz zu ihrer Mutter empfindet sie ihm gegenüber - auch dank ihres liebevollen Stiefvaters - keinen Groll sondern sogar Mitleid, als del Valle gesteht: „Ich sterbe vor Kummer über mein verpatztes Leben.“
Sein reaktionärer Klassendünkel stößt Emilia zwar ab, doch sie willigt ein, als er nun notariell als seine Tochter anerkennt. Und sie weilt sogar in seiner Sterbestunde bei ihm. Das Sterben aber kommt sehr bald in weitaus überwältigenderer Form auf sie zu, denn erst gerät sie in die Schlacht von Concon und dann in die noch weit blutigere von Placilla, die den Bürgerkrieg zugunsten der Putschisten beendet.
In den Tagen dazwischen entdecken Emilia und Eric ihre Liebe füreinander. Dann jedoch werden die Erinnerungen von den Gräueln, dem Gemetzel und dem tausendfachen Abschlachten beherrscht. Während Eric die Schlacht zwar verletzt aber auf der „richtigen“ Seite überlebt, gerät Emilia in Gefangenschaft und gilt schon wegen ihrer Berichterstattungen als Spionin.
Wie sie dennoch überlebt und dann allein eine Reise in den tiefen Süden in die raue Wildnis Chiles macht, das ist zwar interessant geschrieben, verwirrt allerdings als Finale des Romans ein wenig.
Der fesselt nicht zuletzt wegen des historisch genauen Zeit- und Lokalkolorits, zugleich aber wirkt die übergroße und absolut filmreife Rolle der Heldin für die Zeit, in der sie lebt, etwas überzogen. Hier hat Isabel Allende ein wenig zu viel Alter Ego mit feministischem Gedankengut einfließen lassen.
Gleichwohl liest sich das alles hinreißend und bezüglich des Bürgerkriegs mit bemerkenswerten Parallelen zum Putsch von 1973 gegen Salvador Allende – einen Verwandten der Autorin. Dazu sorgt der lebenspralle Schreibstil einmal mehr für eine umgehende Sogwirkung. Fazit: ein starker Roman, wenn auch vielleicht nicht einer der stärksten Isabel Allendes.
# Isabel Allende: Mein Name ist Emilia del Valle (aus dem Spanischen von Svenja Becker), 360 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 28
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
