- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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JOHN BOYNE: „WASSER“
Der irische Erfolgsautor John Boyne ist für seine Elemente-Reihe von vier Kurzromanen zum Thema Missbrauch und Schuldgefühle bereits ausgezeichnet worden. Nun liegen sie auch auf Deutsch vor und Band 1 trägt den Titel „Wasser“.
Ich-Erzählerin Willow Hale fasst die Ausgangslage drastisch zusammen: „Die Tochter tot. Der Ehemann im Gefängnis. Der Ruf der Familie ruiniert.“ Weshalb die 52-Jährige auch diesen anderen Namen angenommen hat, als sie für ein selbst auferlegtes Exil auf die kleine abgelegene Insel kommt.
Einfach und spröde ist es hier, das Cottage sehr einfach, ihr Haar hat sie eigenhändig kurzgetrimmt und die wenigen dörflich-spießigen Nachbarn wissen nichts von ihrem bisherigen Mittelschichtleben in Dublin. Erst allmählich erfährt man durch ihre Reflexionen, dass Noch-Ehemann Brendan seit längerem sitzt.
Im einzigen Telefonanruf, den er hierher aus dem Knast tätigt, gebärdet er sich als unschuldig und rastet aus, als sie ihm jede Chance auf Berufung oder Gnade abspricht. Und es müssen schon schwere Verbrechen gewesen sein, denn für etliche Fälle von Missbrauch junger Mädchen wurde der sehr bekannte und erfolgreiche Sportfunktionär immerhin zu zwölf Jahren Haft verurteilt.
Noch schlimmer für Vanessa, wie Willow ursprünglich hießt, ist jedoch der Tod der älteren Tochter Emma. Im Urlaub schwamm sie in offensichtlicher Absicht auf Meer hinaus ohne Rückkehr. Und Willow quält sich mit ihrer Mitschuld, denn sie hatte eine alarmierende Bitte Emmas abgelehnt: ein Schloss für ihre Kinderzimmertür.
Und erst später bestätigt Tochter Rebecca, dass die Ältere offenbar nächtens vom Vater heimgesucht wurde. Auch sie konnte es nicht glauben und hatte harsch auf diesen Hinweis reagiert. Willow aber sieht sich als Ermöglicherin der schlimmen Taten in tiefer Schuld.
Im Laufe ihres abgeschiedenen Jahres lernt sie damit ehrlich umzugehen und genug neuen Lebenswillen zu gewinnen für einen neuen Lebensabschnitt. - John Boyne hat diesen stillen kleinen Roman gerade auch unter dem Eindruck seiner eigenen Zeit als Missbrauchsopfer eines seiner Lehrer geschrieben.
Die Sprache ist wie gewohnt von schlichter präziser Schönheit, aber auch intelligent und psychologisch fundiert bis in die hervorragenden Dialoge. Fazit: eine Geschichte, die in ihrem Ernst und ihrer Realitätsnähe lange nachhallt.
Das gilt jedoch in gleicher Weise für die drei weiteren Romane des Element-Projekts. Da stolpert der gefeierte Fußballprofi Evan in einen Missbrauchsskandal und wird dabei vor Gericht mit der eigenen, so intensiv verdrängten Vergangenheit konfrontiert. „Erde“ lautet“ der Titel der Geschichte um Homophobie, Missbrauch und Identität.
Im Kurzroman „Feuer“ steht Dr. Freya im Mittelpunkt. Die Spezialistin für Hauttransplantationen für Brandopfer ist hoch geachtet, in ihr schwelt jedoch ein Konflikt aus düsterer Vergangenheit. Ein schreckliches Erlebnis in der Kindheit prägte ihr Leben.
Und hier lodern menschliche Abgründe der Rache und es stellt sich die Frage nach der Schuld, wenn Opfer dann zu Tätern werden. Diese Ärztin erweist sich als ambivalente Figur und berührt gerade mit der psychologischen Tiefe und Nachdenklichkeit.
Um so milder geht es abschließend im vierten Roman unter dem Titel „Luft“ zu, wo der Psychologe Aaron Umber mit seinem jungen Sohn Emmet von Sydney nach Dublin fliegt. In der unentrinnbaren Nähe in der Luft findet der Vater endlich den Mut, das stete Schweigen zu durchbrechen, das ihn umgibt.
Und das auch die Beziehung zu Emmet nicht nur belastet, nur zu gut weiß er, wie die Traumata aus der eigenen Jugend in die nächste Generation weitergetragen werden. Aaron Umber war ein Opfer, die Offenheit aber lässt Hoffnung aufscheinen weg von tief vergrabener Wut und Schmerz.
Fazit: jede dieser Geschichten ist große Literatur und bietet außer den geschilderten Qualitäten auch großen Lesegenuss. Fraglich erscheint allerdings, ob es eine zielführende Idee des Verlags war, die Elemente-Reihe als vier einzelne Bände zu entsprechenden Preisen zu veröffentlichen, zumal sie im Hauptthema doch so nah beieinander liegen.
# John Boyne: Wasser (aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner); 142 Seiten; Piper Verlag, München; € 18
# John Boyne: Erde (aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner); 160 Seiten; Piper Verlag, München; € 18
# John Boyne: Feuer (aus dem Englischen von Maria Hummitzsch); 160 Seiten; Piper Verlag, München; € 18
# John Boyne: Luft (aus dem Englischen von Maria Hummitzsch); 160 Seiten; Piper Verlag, München; € 18
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
