- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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JUDITH W. TASCHLER: „NUR NACHTS IST ES HELL“
Mit ihrer grandiosen Familiengeschichte „Über Carl reden wir morgen“ aus der Zeit von Kaiser Franz Joseph I. faszinierte Judith W. Taschler 2022. Nun hat die österreichische Erfolgsautorin einen Folgeroman zu der Familiensage der Bruggers aus dem Mühlviertel vorgelegt.
„Nur nachts ist es hell“ lautet der Himmel, im Unterschied zum Vorgänger erzählt sie diesmal allerdings nicht aus der Perspektive verschiedener Familienstränge. Stattdessen ist hier Elisabeth, einzige Tochter der wohlhabenden Kaufmannsfamilie Brugger, eine unsentimentale Ich-Erzählerin.
Judith w. Taschler beginnt mit einem ungewöhnlichen Kniff, der scheinbar alles vorwegnimmt, tatsächlich aber große Erwartungen schürt: eine chronologische Lebensbeschreibung im Schnelldurchlauf. Wie sie die dann jedoch zur Entfaltung bringt, fesselt bis zuletzt. Wozu auch die Zeitsprünge beitragen, die mit ihrer souveränen Dramaturgie für die allmähliche Vollendung des Bildes dieser starken Frau sorgen.
Der gesamte Roman kommt mit wenig Dialog aus, denn – wie sich erst später herausschält – ist er als Lebensbericht in Briefen an Elisabeths Großnichte Christina aufgelegt. In ihnen schildert die jetzt etwa 75-Jährige als roten Faden ihren schwierigen Weg zum Medizinstudium in einer Zeit, da so etwas für Frauen nahezu undenkbar war.
Immerhin war die Familie Brugger fortschrittlich genug, Elisabeth das Gymnasium besuchen zu lassen. Statt des Studiums, das man ihr gleichwohl verwehrte, wurde sie mit 19 Jahren bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs Krankenschwester.
Es ist dann der Arzt Georg Tichy, der im Krieg den linken Arm verloren hat, der sie heiratet und zugleich ihr Streben unterstützt, Ärztin zu werden. Sie haben bald zwei Söhne, dennoch wird sie schließlich Partnerin ihres Mannes in der Arztpraxis.
In die Schilderungen fließen immer wieder spannende Entwicklungen historischer Aspekte ein, vor allem auch durch Einblicke in ihre Arbeit im Operationssaal und noch mehr als Ärztin, die so manchem Opfer von missglückten Abtreibungsversuchen sogenannter Engelmacherinnen helfen muss.
Es sind bewegte Zeiten in der Republik Österreich und sie werden noch schwieriger, als 1938 die Nazis „übernehmen“ und bald der Zweite Weltkrieg ausbricht. Früh muss der ältere Sohn an die Front und als er Ende 1941 in Russland als vermisst gemeldet wird, begeht der ohnehin depressive Nazi-Hasser Georg Suizid.
Wie sich Sohn Julius auf fatale Weise vor der Front rettet und wie sich Elisabeth weiterhin durchschlägt, eröffnet sich ebenfalls mit manchen Szenen, die tief unter Haut gehen. Und durch später Erinnerungen wird das Bild der Elisabeth Tichy, geborene Brugger, ein immer vollkommeneres.
Wie schon beim Vorgänger bestechen auch hier das großartig gezeichnete Zeit- und Lokalkolorit neben den konturenreich gestalteten Charakteren wieder zu einem Roman, der das Prädikat „meisterhaft“ verdient.
# Judith W. Taschler: Nur nachts ist es hell; 319 Seiten; Zsolnay Verlag, Wien; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
