- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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MATHIJS DEEN: „DIE LOTSIN“
Der mittlerweile vierte Fall mit Liewe Cupido, Kriminalhauptkommissar bei der „Bundespolizei See“ in Cuxhaven, hat seinen Anfang im fernen Grönland. Dort im eisbedeckten Osten bohrt ein Forschungsteam bis über 1.000 Meter in die Tiefe und holt Eisbohrkerne heraus.
Sie offenbaren die klimatischen Veränderungen der Erde bis weit in die Frühzeit und eine der fähigsten Glaziologen ist Dr. Iona Grimstedt-Tauber. Die 34-jährige Amerikanerin arbeitet in Kiel für GEOMAR. Dort hat sie auch Familie und ihrer Tochter will sie an diesem 6. August 2017 zum Geburtstag gratulieren.
Durch unverschuldete Verzögerungen erreicht sie die Kleine nicht mehr und während ihre Kollegen den jüngsten Erfolg feiern, verschwindet sie. Trotz eines gefährlichen Whiteouts, der draußen jede Orientierung unmöglich macht, hat sie die Station verlassen. Als man sie schließlich bei den Schlittenhunden liegend findet, leidet sie an Unterkühlung und Atemnot.
Da sie außerdem ohnehin offenbar an depressiven Schüben leidet, beschließt man, sie zur Untersuchung nach Hause zu schicken. Dazu transportiert man sie zu dem US-Forschungsschiff „RV Anthropocene“, dessen 1. Offizier ihr Ehemann Torsten ist.
Und das ist die Ausgangsposition zu Mathijs Deens neuem Roman „Die Lotsin“, der im Gegensatz zu den bisherigen Fällen mit Liewe Cupido mit seinen sachlichen Ausführungen geradezu reportagehaft und weniger wie ein Kriminalroman wirkt.
Das ändert sich erst nach dem Schwenk zu einer Übung von Rettungskräften verschiedener Organisationen in der Deutschen Bucht, an der auch die „Bad Bramstedt“ von der Bundespolizei teilnimmt. Morgens um 10 Uhr erreicht der Notruf der „RV Anthropocene“, kurz vor Helgoland liegend, das Schiff: Person über Bord.
Warum aber der späte Notruf – das Verschwinden wurde bereits um 8 Uhr entdeckt und es erfolgten eigene Suchmanöver. Als das Patrouillenboot zum Schiff kommt, stößt Xander Rimbach, Liewe Cupidos junger Kollege, an Bord auf einen ungehaltenen Kapitän sowie mauernde Seeleute und mehrere Wissenschaftler.
Spürbar giftig erscheint insbesondere die Stimmung zwischen dem Kapitän und seinem 1. Offizier Grimstedt. Die Ungereimtheiten reichen der Bundespolizei jedenfalls, eine Untersuchung anzuordnen. Was recht spröde einsetzte, wird längst immer spannender, Liewe Cupido allerdings erscheint erst jetzt auf der Bildfläche.
Und damit noch nach der titelgebenden Lotsin. Die hat ohnehin nur eine überraschend kleine Rolle, doch gerade sie überbringt nicht nur einen entscheidenden Hinweis sondern mit einer GoPro-Kamera, die auf dem Hinterdeck installiert war, auch ein für die Aufklärung des rätselhaften Falles wichtiges Beweisstück.
Verräterische Fotos, sehr komplexe Ermittlungen mit einem ebenso grantigen wie wortkargen Cupido und mühsame Ursachenforschung sorgen zusammen mit der sehr authentischen maritimen Szenerie für einen Lesegenuss, der weit über den eines Krimis hinausgeht.
Und fesselt mit Passagen wie dem Fund von Kopf und einem Fuß Ionas im Netz eines Fischkutters. Oder den Erkenntnissen der Wissenschaftlerin über den Klimawandel und die unheilvollen Prognosen daraus. Die dann anderen wissenschaftlichen Untersuchungen unpassend im Wege stehen. Weshalb die sensible Iona bereits über Wochen mit heftigsten Hass-Mails verfolgt und bedroht wurde.
„Die Lotsin“ ist ein literarisches Meisterwerk, nicht zuletzt auch wegen der souveränen Einbindung ganz privater Verhältnisse, die dennoch auf ihre Weise glaubwürdig in den Fall eingewoben sind und zur Bereicherung der Geschichte beitragen. Und es erscheint abschließend beinahe überflüssig zu erwähnen, dass dieser Roman ganz und gar filmreif ist.
# Mathijs Deen: Die Lotsin (aus dem Niederländischen von Andreas Ecke); 362 Seiten; marebuchverlag, Hamburg; € 23
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)