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MICHAEL EBERT: „DIE REGENWAHRSCHEINLICHKEIT BETRÄGT NULL PROZENT“
Mathelehrer sind bekanntlich die unbeliebtesten Pauker überhaupt. Wer nun so einen richtigen Brass auf diese Spezies Lehrer hat, dem wird Michael Eberts neuer Roman ein Labsal sein.
„Die Regenwahrscheinlichkeit beträgt null Prozent“ lautet der Titel und im Mittelpunkt steht Dr. Hannes Hennes, Oberstudienrat. Als Mathematiklehrer fühlt er sich zwar etwas unterfordert, als Familienvater mit einer 17-jährigen Tochter aber führt ein recht glückliches Leben.
Bis die Unberechenbarkeit des Schicksals in seine mathematisch ordentliches Leben einbricht. Nun wird die Geschichte eröffnet mit einer Situation, die jeder Vernunft widerspricht: „Das Leben ist seltsamer, als wir es uns vorstellen können.“
So muss er in Frauenklamotten und mit einer blutigen Suppenkelle in der Hand die Flucht ergreifen. Von der Polizei gestoppt, hat er logischerweise Erklärungsprobleme. Wie schon für die drei vorherigen Katastrophen, die ihn unter anderem nicht nur seine Familie zu kosten drohen: „Vielleicht hatte er wirklich keine Begabung für das Glück.“
Der Auftakt war schon äußerst peinlich, als er sich anlässlich der Nobelpreisverleihung an seinen jüngeren Bruder Wilhelm unmöglich machte. Ja, es hatte ihn schon aus dem Ruder geworfen, dass er selbst hier in der großen Feier in Stockholm mal wieder wie schon seit Kindertagen quasi nur am Katzentisch saß.
Trotzdem hätte es diesen Vorfall als wirrer Nackedei im Luxus-Hotel nicht geben dürfen. Dann auch nicht viel später dieser Blackout vor laufender Kamera bei Günther Jauchs „Wer wird Millionär?“. Und danach der Trip mit Marlene nah Venedig, bei der sie durch seine Schuld beinahe zu Tode gekommen wäre.
Die Wahrheit, dass es durch seine Saumseligkeit zu dem Allergieschock durch die von ihm zubereiteten „Spaghetti alla putanesca“ gekommen war, konnte er ihr zwar verschweigen, aber er wusste es ja. Und schließlich dieser völlig unwahrscheinliche Unglücksfallfall, wegen dem Tochter Klara ihn nun verteufelt und er sich vor Gericht verantworten musste.
Nie hätte er das Jagdgewehr seines Schulleiters auch nur anfassen sollen. Jetzt war Klaras Freund tot und Hannes hatte das Drama verursacht. Dass er aus dieser schrillen Spirale aussteigen will, ist verständlich, denn inzwischen hadert er immer mehr: „Er war sich kaum erträglich.“
Dennoch erweist sich der Schritt, sich dazu ausgerechnet beim Seminar „Mann sein & Krieger werden“ - auch das ist inzwischen geradezu zwingend erwartbar – als ein denkbar unglücklicher Versuch, Ängste und geringes Selbstwertgefühl zu bewältigen.
Was denn ja auch zur anfangs geschilderten Flucht führt. Und zu nicht wirklich überraschenden Suizidgedanken. Zuvor aber will der Gebeutelte, der einem inzwischen in seinem Jammer längst ans Herz gewachsen ist, noch eine gute Tat vor dem Ableben vollbringen.
Der Mathematiker mit Leib und Seele erfährt, dass das einst in der Charité konservierte Gehirn seines großen Idols Carl Friedrich Gauß auf Abwege geraten ist, So macht er sich eine Irrfahrt, um es zu retten, und es muss niemanden mehr wundern, wenn es auch hier nicht wirklich zu einem Happyend kommt.
Das alles offenbart eine schräge Tragikomödie, die bei allem Widersinn auch einigen Tiefgang hat. Zuweilen erinnert dieser exzellent geschriebene Roman im Übrigen an die Geschichten von Frederik Backman und ähnlich filmreif ist auch diese.


# Michael Ebert: Die Regenwahrscheinlichkeit beträgt null Prozent; 235 Seiten; Penguin Verlag, München; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)