0091huth

PETER HUTH: „AUFSTEIGER“
Es beginnt mit einer Leiche in der Pathologie, doch der neue Roman von Peter Huth ist trotz des gewaltsamen Todesfalls kein Krimi. Vielmehr eröffnet diese Szene einen veritablen Gesellschaftsroman auf hochaktuellem Stand.
„Aufsteiger“ lautet der Titel und dieser Autor war nicht nur einst selbst u.a. Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, er stellt die Medienlandschaft auch in den Mittelpunkt des Geschehens. Das zentrale Medium heißt hier schlicht „Das Magazin“.
So in seiner herausragenden Bedeutung für die Republik und mit einer Wochenauflage von 875.000 Exemplaren umschrieben, ist ziemlich offensichtlich der SPIEGEL gemeint (auch wenn der nicht in Berlin sondern in Hamburg sitzt). Zentraler Akteur ist hier Felix Licht, 48 Jahre alt und Stellvertreter der grauen Eminenz Richard Leck.
Dieser mächtige alternde Chefredakteur ist soeben mit einem gewichtigen politischen Artikel angeeckt und überhaupt wird ihm angelastet, das einstige Flaggschiff des deutschen Journalismus zu einem behäbigen und konservativen alten Dampfer gemacht zu haben.
Längst sind die Weichen gestellt durch intensive Gespräche zwischen Felix Licht und dem neuen Eigentümer des Magazins Christian Berg. Nun fiebert Felix, der als Vollblutjournalist Frau Sarah und Tochter Emilia wie auch sonstiges Privatleben stets dem Beruf untergeordnet hat, seinem großen Tag entgegen.
Heute soll das entscheidende Gespräch stattfinden und seine engsten Mitarbeiter fiebern bereits mit ihm, dem neuen Chefredakteur des wichtigsten Printmediums des Landes zu werden. Und dann bricht innerhalb ein Stunden alles weg: Karriere, Ansehen und Familie.
Wie konnte das sein?! Der große Boss vermeldet, dass Zoe Rauch neue Chefredakteurin wird. Anfang 30, bildschön und schwarz und „mit ausgezeichnetem Ruf in genau dem Milieu, das das Magazin bislang strikt ablehnte.“ Links, woke und mit ihren bisherigen Veröffentlichungen in ebendiesem Spektrum eine Lichtfigur.
Für Felix aber ist dieser Coup sogar eine doppelte Katastrophe, denn damit ist er als zu alt, weiß und Mann nicht nur aus dem System geschleudert. Diese Zoe war vor zwölf Jahren seine hochbegabte Volontärin. Und er hatte ihr nicht nur viel beigebracht, sie waren sich auch emotional so nahe gekommen, dass er – wegen seiner jungen Familie – die Reißleine gezogen hatte, bevor sie eine letzte Linie überschritten.
Vergessen hatten sie einander nie, wie er bald von ihr erfährt. Zugleich aber rastet er daheim derartig aus, dass er rausfliegt, zumal Sarah ihm wegen Zoe Lügerei vorwirft. Wut Ratlosigkeit und Selbstmitleid erhöhen seinen Alkoholkonsum, während er nun im „Hyatt“ viel zu teuer nächtigt, aber auf diesem Berufslevel verschwenden viele nur wenige Gedanken an derlei.
Auch in der Redaktion sorgt der krasse Umbruch für ganz viel Wirbel, denn links-woke Themen sind plötzlich akut, Transgender, Klimakleber und andere Aufreger. Doch während Felix einerseits Zoe wiedersieht und sie nicht voneinander lassen können, taumelt Felix nun in einen gegenläufigen Handlungsstrang.
Dr. Cornelius Sentheim gehört zu den übelsten rechtspolitischen Bloggern, der aus seinem Kellerstudio die Massen raffiniert aufwiegelt. Ebenso genüsslich wie skrupellos ist nun die neue Magazin-Heldin Zoe Rauch Ziel seiner Hetze.
Doch Sentheim war zuvor Partner einer hochkarätigen Anwaltskanzlei, die ihn feuerte. Clever und gerissen ködert er den orientierungslosen Felix mit Vorstellungen einer Diskriminierungsklage gegen Christian Berg wegen dessen irrtümlich bei ihm eingegangener E-Mail, Felix sei „zu alt, männlich und weiß“ für den Spitzenjob beim Magazin.
Und es ist Sentheim, der Felix messerscharf über die Beweggründe der Bergs aufklärt. Die sind keine Augsteins oder Nannens, die mit Herzblut am Journalismus hängen, sondern Milliardäre, die ihr Riesenvermögen mit den Völkischen so beliebten Heimthal-Textilien anhäuften: „Er macht das für seine Frau, die ihre erfrischend national betonte Vergangenheit als Lagerfelds für die rechte Szene hinter sich lassen möchte. Sie ist der Grund, warum er das Magazin gekauft hat. Und jetzt wird es auf links gestrickt, so weit wie möglich von dem entfernt, was alle von den Bergs erwartet hatten.“
Immer spannender und voller Überraschungen treibt das Geschehen rasant vorwärts, vielfach satirisch forciert und auch die exzellent gezeichneten Charaktere sind zuweilen geradezu parodistisch überzeichnet. Und dennoch dreht diese höchst gegenwärtige Geschichte ganz hart vorm realen Wind.
Wie Zoe Rauch einen ersten großen Reinfall erlebt, wie Sentheim mit gnadenlos zurechtgebogenen Fake News für Aufruhr sorgt und die verdrehte Pseudo-Feministin Charlotte Berg – die Zoe ja durchgesetzt hatte – sich nun zur Verlegerin aufschwingt, um den „richtigen“ Weg ihres Schützling kontrollieren zu können – all das samt Felix Lichts Schlingerkurs treibt auf ein grandioses Finale zu.
Was für ein Gesellschaftsroman mit all seinen widerstreitenden moralischen und politischen Motivationen, der hier ebenso brillant wie fesselnd die zwischen missverstandenem Konservatismus, links-edlem und teils hirnrissigem Gutmenschentum, allgemeiner Geltungssucht und Geldgier verbogene Gegenwart präzise entlarvt.
„Aufsteiger“ ist vermutlich der Deutschland-Roman unserer Tage, eine meisterhaft gelungene Vorlage für einen großen Deutschland-Film ist er auf jeden Fall.


# Peter Huth: Aufsteiger; 332 Seiten; Droemer Verlag, München; € 22 WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)