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SARAH CROUCH: „MIDDLETIDE – WAS DIE GEZEITEN VERBERGEN“
Zwei Fischer entdecken auf ihrer Fahrt mit dem Boot durch die Wälder am Pudget Sound (US-Staat Washington) eine schöne junge Frau, die an einem Baum hängt, ein Seil um den Hals. Es ist der 3. Januar 1994 und der Sheriff findet eine Art Abschiedsbrief von dieser Dr. Erin Landry.
Doch dies ist nur der Prolog zu „Middletide – Was die Gezeiten verbergen“, dem Debütroman der als Marathonläuferin bekannten Sarah Crouch. Die Indizien am Fundort weisen dennoch eindeutig auf Mord hin, denn die nackten Füße der Toten sind fast unbeschmutzt und nirgends ist ein Fahrzeug zu sehen.
Dann springt das Geschehen in das Jahr 1973 und hier auf dem Grundstück, auf dem die Frau umkam, lebt Elijah Leith mit seinen Eltern in einem bescheidenen Blockhaus. Zwischen ihm der 16-jährigen Nakita aus der nahen Squalomah-Reservation lodert die erste große Liebe. Jetzt steht trotzdem eine vierjährige Trennung an, denn der 18-Jährige will nach San Francisco aufs College.
Elijah bricht seine Versprechungen gegen Nakita jedoch und immer seltener kommen Briefe. Stattdessen will er Karriere als Schriftsteller machen und tatsächlich verfasst er den großen Krimi „Middletide“. Der aber so gnadenlos durchfällt, dass er schließlich reumütig und abgebrannt ins heimische Orchards Point zurückkehrt.
Die Eltern sind im Laufe der Jahre seiner Abwesenheit verstorben und das Blockhaus muss er mühsam wieder bewohnbar machen. Einen Job findet er in der Autowerkstatt, in der schon sein Vater gearbeitet hat. Nur Nakita ist nicht mehr da für ihn. Sie hat einen Anderen geheiratet, ist inzwischen allerdings Witwe.
Nun aber dieses Verbrechen auf seinem Waldgrundstück. Und der Verdacht fällt nicht nur deshalb auf Elijah, weil er mit der Ärztin eine kurze Affäre hatte. Die war mit Zerwürfnissen zuendegegangen. Weitaus schlimmer jedoch – die Tat ist sehr genau seinem doch fast völlig unbekannten Romanmanuskript nachempfunden!
Da wird es nun ganz eng für Elijah und selbst kann er fast nichts machen, weil er die meiste Zeit in Haft sitzt. Nur Jugendliebe Nakita und deren Vater, der Reverend der Indianer-Reservation, halten zu ihm und versuchen alles, um diese so widersinnig erscheinende Tat aufzuklären.
Der Roman mündet schließlich in einen spannenden Gerichtsteil, in dem auch weiterhin die Zeitebenen immer wieder wechseln. Die Charaktere sind interessant gezeichnet und es fließen auf manche Aspekte des Leben der Native Americans mit ein.
Einen gewichtigen Teil des Erzählten nehmen aber auch die einzigartige Natur und Landschaft des pazifischen Nordwestens der USA ein. Da erinnert manches an Delia Owens' Weltbeststeller „Der Gesang der Flusskrebse“. Dessen Magie erreicht dieser Roman jedoch nur ansatzweise, was auch an der eher schlichten Übersetzung ins Deutsche liegt.


# Sarah Crouch: Middletide – Was die Gezeiten verbergen (aus dem Amerikanischen von Lena Kraus); 378 Seiten; dtv Verlag, München; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)