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STEPHEN ALEXANDER: „DAS BILDNIS DES OSCAR WILDE“
Oscar Wilde (1854-1900) zählt noch heute zu den ikonischen Stars der Weltliteratur. Wobei sein unerschöpflicher Schatz an geistreichen Bonmots, sein Dandytum und sein außergewöhnliches Schicksal einen wesentlichen Anteil haben. Dieser von großem Aufstieg und tiefem Fall geprägten Vita wurden zwar schon etliche Biografien gewidmet, Stephen Alexander jedoch geht das wahrhaft romanhafte Leben des Dichters, Dramatikers und Romanschriftstellers als genau das an: als sogenannte Romanbiografie.
Die Freiheiten dieser Herangehensweise nutzt der gebürtige Hamburger, der selbst als Theatermann in Irland – Wildes Herkunftsland – arbeitet, mit souveräner Hand. So lässt er „Das Bildnis des Oscar Wilde“ erst 1892 einsetzen, der vor allem mit seinen brillanten Theaterstücken umjubelte Literat ist da längst auf dem Gipfel des Ruhms.
Doch Wilde ist nicht nur ein notorischer Narziss mit unzähligen überlieferten Geistesblitzen bei jeder Gelegenheit, sondern auch ein Lebemann mit Neigungen, die im verklemmten spätviktorianischen Zeitalter Ende des 19. Jahrhunderts nicht bei jedermann auf Verständnis oder gar Bewunderung stoßen.
Wie auch sein großer Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, der ein Riesenerfolg ist aber auch als unmoralisch und anstößig kritisiert wird. Und es wird gemunkelt, dass er Ehefrau Constance – mit der er zwei Kinder hat – betrügt. Das aber nicht etwa mit Frauen, vielmehr wird ihm ein Hang zu jungen schönen Männern unterstellt.
Und einer von ihnen soll der 16 Jahre jüngere Lord Alfred Douglas sein. Von dieser langjährigen Affäre mit dem von ihm „Bosie“ genannten Jüngling bekam auch dessen Vater Wind, der hochangesehene Lord John Douglas, 9. Marquess of Queensberry.
Der dem so spektakulär in der Öffentlichkeit wandelnden Wilde eine böse Falle stellt, indem er ihm eine provokante Visitenkarte zukommen lässt. Er bezeichnet ihn darauf als „posierenden Sodomiten“ und das zu einer Zeit, als Sodomie (gemeint ist Homosexualität) unter strenger Strafe stand.
Entgegen dem rat von Freunden strengt Oscar Wilde tatsächlich einen Verleumdungsprozess gegen den Marquess an. Der wird nicht nur freigesprochen, im Prozess gibt es Zeugenaussagen, die die strafwürdigen Umtriebe des berühmten Künstlers bestätigen und diesen selbst vor Gericht bringen.
Stephen Alexander konnte für die exzellenten Gerichtspassagen auf umfangreiches Berichtsmaterial zurückgreifen und er lässt spüren, wie sehr der skandalumwitterte Star von der Gesellschaft und allen voran von Justiz und Presse niedergemacht wurde.
Zwei Jahre Zuchthaus mit Zwangsarbeit ruinierten Wildes Gesundheit und brachen ihn auch psychisch. Als er 1897 entlassen wurde, floh er als gebrochener Mann nach Paris. Diese letzten Jahre wurden von Alexander stark fiktionalisiert, doch auch hier erweist er sich als ebenso feinfühliger wie kenntnisreicher Autor.
Fazit: ein gelungenes literarisches Experiment, das zudem einen echten Lesegenuss beschert.


# Stephen Alexander: Das Bildnis des Oscar Wilde. Romanbiografie; 254 Seiten, Broschur; Insel Verlag, Berlin; € 18
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)