- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Belletristik (Roman/Krimi)
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STEPHEN KING: „KEIN ZURÜCK“
Auch bei seinem jüngsten Kriminalroman präsentiert Stephen King den Mörder gleich zu Beginn und sogar mit der Begründung seiner regelrechten Sühneaktion mit bis zu 14 Opfern. Der Meister aber weiß damit umzugehen und es gibt ja nicht diesen Erzählstrang...
„Kein zurück“ heißt der Titel, der sich auf eine Gewissheit des angehenden Mörders bezieht. Wenn er sein Vorhaben koknret beginnt, ist ihm klar: „Wenn du das tust, gibt es kein Zurück mehr.“ Das sagt ihm auch die Stimme seines Vaters, die im Kopf immer dabei ist.
Trig nennt sich der eher unscheinbare Mittvierziger, wenn er zu den Versammlungen der Anonymen Alkoholiker geht. Was ihn zu diesem Aufbruch bewegte, war eine Schlagzeile im April: „War ermorderter Gefängnisinsasse unschuldig?“ Vor zwei Jahren war der Bankangestellte Alan Duffrey hier in Buckeye City, Ohio, vom Geschworenengericht wegen kinderpornografischen Material zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Nun hatte ihn ein Mithäftling erstochen. Die große Tragik dabei: der seinerzeit maßgebliche Zeuge hatte jetzt seine Diagnose vom Krebs im Endstadium erhalten und aus Gewissensgründen ans Gericht geschrieben, dass er damals aus persönlichen Gründen gelogen habe. Aber – das Schreiben wurde vom Staatsanwalt ignoriert.
Anonym teilt Trig der Polizei die Agenda seines Sühnefeldzugs mit. Er werde 13 Unschuldige und einen Schuldigen töten, jeweils einen ersatzweise für die damals tätigen Geschworenen. Die dagegen werde er leben lassen, damit sie an ihrer Schuld leiden.
Der noch recht rudimentären Vorstellung folgt bald der erste Mord an einer zufällig ausgesuchten Frau. Die er erschießt und ihr dann einen Zettel mit dem Namen eines der Geschworenen zwischen die Finger schiebt.
Trig staunt, wie wenig ihn die Tat aufwühlt. Und als erst sein Auto zur Flucht nicht anspringen will, nimmt er es fatalistisch: „Gott straft ihn, Zwar glaubt er nicht an Gott, aber Gott straft ihn trotzdem.“ Auch die nächsten, durchaus nicht sonderlich raffiniert vollzogenen Morde gelingen glatt.
Derweil kontaktiert Detective Isabell Jaynes inoffiziell die Privatermittlerin Holly Gribner – Stephen Kings Lieblingsprotagonistin im mittlerweile vierten Roman – wegen ihrer Einschätzung des Falles und des mutmaßlichen Täters. Zugleich tut sich jedoch auch eine zweite Handlungsebene an ganz anderer Stelle auf.
Da tritt die radikale Frauenrechtlerin Kate McKay in Reno, Nevada, auf und anderntags wird ihre Assistentin Corrie von einer Fremden mit einem Bleichmittel attackiert und verletzt. Corrie aber hatte wegen des Regens für einen Einkauf Kates Markenzeichen, einen Borsalino, aufgesetzt und ist offensichtlich nur Opfer eine Verwechslung.
Als es am nächsten Veranstaltungsort jedoch sogar eine offene Morddrohung gibt. Kommt Holly Gribner auch hier ins Spiel, denn Corrie und Kate engagieren sie als Bodyguard. Zugleich wird diese Attentäterin vorgestellt als fanatische militante Abtreibungsgegnerin Chrissy.
„Die Religionen dieser Welt sind für allerhand Scheiß verantwortlich“, heißt es da lapidar, und hier ist es ein besessener Priester, der Menschen dazu indoktriniert, jedwede „Babymörder“ und ihre Propagandisten auszumerzen. Eines der zahlreichen heiklen Reizthemen im zerrissenen Trump-Amerika, die Stephen King hier einmal mehr einfließen lässt.
Längst hat sich eine intensive Sogwirkung entwickelt, als auch die Comeback-Tournee der legendären Soul-Sängerin Sista Bessie in den Blickpunkt rückt. Während einerseits die Person des Trig immer stärker umrissen wird und sich andererseits die Lebensgefahr für Kate und Corrie täglich steigert, laufen die Fäden der Handlungsstränge wegen des Sista-Bessie-Konzerts in Buckeye City in einem fieberhaften Countdown zum packenden Finale zusammen.
Aufgepeitschte Stimmungen, überzogene feministische Aktivitäten und hemmungslosen Gegenströmungen – Stephen King schreibt vor der gesellschaftlichen Realität der USA, in der so vieles beängstigend nicht stimmt. Um so weniger die Protagonisten, die einmal mehr hervorragend gezeichnet sind.
Mit „Kein zurück“ hat der Altmeister einen im besten Sinne sehr normalen Thriller geschrieben, der ohne außersinnliche Phänomene auskommt. Fazit: ein ganz starkes Stück Hochspannungsliteratur.
# Stephen King: Kein zurück (aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmid); 639 Seiten; Heyne Verlag, München; € 28
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)