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SUSAN BARKER: „OLD SOUL“
Am Airport von Osaka treffen der englische Lehrer Jake und die japanische Bankmanagerin Mariko aufeinander, als beide den Flug nach London verpassen. Als sich sich in den nächsten Stunden mit Speisen und Trinken vertreiben, entdecken sie eine atemberaubende Parallele in ihren Leben.
Durch Alkohol aufgelockert erzählt die unterkühlte Schöne von der Nacht, in der sie ihren Zwillingsbruder Hiroji verlor. Nach langer Funkstille zwischen beiden hatte er sie in der Nacht vor seinem Tod angerufen und wirr von verschobenen Organen gefaselt. Und sie vor einer Frau gewarnt, die sie auf keinen Fall hereinlassen sollte.
Jake ist bestürzt, denn seine engste Jugendfreundin Lena war mit genau denselben Begleitumständen gestorben. Wie Hiroji exakt vor elf Jahren und wie bei ihm spielte eine deutschsprachige Fotografin eine mysteriöse Rolle.
Damit beginnt „Old Soul“, der erste Roman der britischen Erfolgsautorin, der auf Deutsch erscheint. Jake, der wegen einer Auszeit im Beruf die nötige Zeit dafür hat, nimmt die Pirsch nach diesen Geheimnissen auf, nachdem Mariko auf Hirojis Witwe hingewiesen hat.
Diese Sigrid lebt jetzt wieder in Berlin und berichtet ihm Beunruhigendes von der Verwandlung ihres Mannes, der gegen Ende gar nicht mehr er selbst zu sein schien. Und von der Fotografin Damaris und ihrem Einfluss dabei: „Ich wusste, dass von dieser Frau nichts Gutes ausging.“ Und Jake erfährt, dass der japanische Tänzer nicht nur mental düster abdriftete, sondern sich nach seinem Ende ein „Situs inversus“ offenbarte – spiegelverkehrt sitzende innere Organe.
Wie bei Lena, dabei ist diese Anomalie extrem selten. Noch unheimlicher aber erscheint die seltsame Fotografin, denn sie erscheint auch in anderen Passagen und shceint nie zu altern. Dafür aber schafft sie Verwirrtheit bei den Menschen, die sie auserwählt.
Und der Horror kommt schleichend aber unentrinnbar in Geschichten, die nur scheinbar wenig miteinander zu tun haben. In einer perfiden Dramaturgie breitet sich die düstere Beklemmung in den wechselnden Erzählperspektiven aus und fesselt auf geradezu hohnlächelnde Weise.
Susan Barker spielt gekonnt mit den Wechseln, mit den dunklen Ahnungen und den hervorragend gezeichneten Charakteren. Fazit: ein hypnotisch erzählter Horrorroman auf literarischem Niveau.


# Susan Barker: Old Soul (aus dem Englischen von Volker Oldenburg); 388 Seiten; Suhrkamp Nova, Berlin; € 24
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)