- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Biografien
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CHRISTINE EICHEL: „CLARA“
Clara Schumann (1819-1896) und Robert Schumann (1810-1856) gelten vielen noch heute als das Künstlerpaar der Romantik schlechthin. Doch es ist längst kein Geheimnis mehr, dass hinter der geschönten Fassade Frust und Verwerfungen herrschten.
Die renommierte Literatur- und Musikwissenschaftlerin Christine Eichel hat dazu unter dem schlichten Titel „Clara“ eine neue Biografie verfasst, die vor allem die komplizierte Vita der Ausnahmekünstlerin unter Auswertung auch bisher unbeachteter Quellen neu beleuchtet.
Dabei lüftet die Erfolgsautorin vor allem bisher übliche Klischees, wie schon der Untertitel ankündigt: „Künstlerin, Karrierefrau, Working Mom – Clara Schumanns kämpferisches Leben“. Unmissverständlich wird dabei klargestellt, dass die Musikerin und Komponistin im Gegensatz zu früheren Verklärungen keine sanfte Muse im Schatten ihres genialischen Mannes war.
Von ihrem Vater Friedrich Wieck war die hochbegabte einzige Tochter von klein an gnadenlos zum Wunderkind am Flügel getrimmt worden. Eine Kindheit im eigentlichen Sinne hielt der Despot für Zeitverschwendung, entsprechend rigoros unterband er jegliche Anwandlungen dieser Art.
Was vermutlich mit ein Grund für die schicksalhafte Wirkung war, die der Einzug des neun Jahre älteren Musikstudenten Robert Schumann im Hause Wieck zu Ausbildungszwecken in Gang setzte. Als Gegenbild zum strengen Vater war der Klavierschüler ein attraktiver Schwarmgeist. Schon mit 14 begann Clara einen intensiven Briefwechsel mit dem angehenden Komponisten und sie war 16 beim ersten Kuss.
Doch nicht nur wegen des Alters und der weiteren lukrativen Konzertkarriere verhinderte Vater Wieck diese heimliche Liebe, als sie sich zur Verlobung öffnen sollte. Früh offenbarten sich nämlich dunkle Seiten Schumanns. In der heute bekannten Ballung hätten sie jede weitere Annäherung Claras an ihn eigentlich unterbinden müssen.
Schumann führte ein Lotterleben, bei dem er sich nicht die Syphilis einfing – die mit einiger Wahrscheinlichkeit auch seinen späteren vor allem psychisch-mentalen Verfall erklärt – er trank zu viel und dann waren da noch die vielen „attischen Nächte“ mit sogenannten Sonnenjünglingen. Seine schriftlich überlieferte Rechtfertigung: „Wer kann vom Genie verlangen, dass es Charakter haben soll?“
Es gabz zwar wiederholte Zerwürfnisse zwischen ihm und Clara wegen dieses Lebenswandels, aber auch Versöhnungen. Mindestens so abschreckend für die angestrebte Heirat der Beiden aber hätte seine damals allgemein übliche patriarchalische Grundhaltung für die sehr populäre Konzertpianistin sein müssen, die er ungeniert in Briefen an sie postulierte.
Danach passe die künstlerische Arbeit nicht in eine Ehe: „Nein, das Weib steht doch noch höher als die Künstlerin.“ Obwohl das in krassem Gegensatz zu der über alles geliebten künstlerischen Tätigkeit stand, entschied sich Clara dennoch für die Eheschließung, die das Paar gegen den Willen Friedrich Wiecks sogar gerichtlich durchsetzen musste.
Schon zu diesem Zeitpunkt mit eben 21 Jahren wird deutlich, dass Clara Schumann erst Opfer des Vaters und anschließend des Gatten wurde. Die Biografin macht einen ausschlaggebenden Grund offensichtlich, der nur zu deutlich in einem der vielen Briefe Claras festgehalten ist: „So flüchte ich zu dir, um zu finden, was ich bei den Eltern nicht fand.“
Die emotionale Kälte von Vater und Mutter trieb sie also in eine Verbindung, die von Beginn an toxische Ausmaße annahm. Schumann domestizierte die Künstlerin zum Hausweibchen, das dann in 16 Ehejahren acht Kinder zur Welt brachte. Einen ganz persönlichen Beweggrund dürfte dabei jedoch auch die Eifersucht des genialischen, aber erst posthum vollends anerkannten Komponisten auf die Doppelbegabung Claras sein: durch eigene Schuld hatte er seine Fähigkeiten hochklassigen Klavierspielens früh eingebüßt.
Die große Wende für Claras unglückliches Künstlerdasein setzte etwa ab 1853 ein, als sich der Gesundheitszustand Schumanns insbesondere mit psychischen Auswüchsen derartig verschlechterte, dass er schließlich in eine Heilanstalt übersiedeln musste. Zugleich war jetzt der Musikschüler Johannes Brahms ins Haus eingezogen, eben 20 Jahre alt und in jeder Beziehung ein Gegensatz zu Schumann.
Clara und er fühlten sich sofort als ein Herz und eine Seele und Brahms wurde für längere Zeit eine Art Lebensgefährte trotz des großen Altersunterschieds. Mehr jedoch gestattete die nun quasi von Ehezwängen befreite Künstlerin aus sehr guten Gründen nicht: ihre Karriere setzte an zu einem jahrelangen Höhenflug, bei dem ein unsolider Lebenswandel völlig abträglich gewesen wäre.
Allerdings schlug ihre nun praktizierte Kompromisslosigkeit nicht nur gegen jede neue Private Verbindung durch. Um die Triumphe in den größten Konzertsälen Europas voll auskosten zu können, entledigte sich sich auch ihrer sieben noch lebenden Kinder. Für ihre lange unterdrückte Selbstverwirklichung brachte sie sie in teils weit entfernten Heimen und Internaten unter – auch sie quasi Kollaterialschäden der selbst erlittenen menschlichen Kälte.
Diese Biografie zeigt die komplexe Vita der Ausnahmekünstlerin Clara Schumann mit ihren Höhen und vor allem den meist hinter Fassaden verborgenen Tiefen in ungeschöntem Licht. Einziger Kritikpunkt dieses insgesamt hervorragend geschriebenen Buchs ist der vereinzelte Gebrauch zu flapsiger Floskeln wie der doch recht unwissenschaftlichen Bezeichnung Robert Schumanns als „Bad Guy“ (aus wenn er das wirklich war!).
# Christine Eichel: Clara. Künstlerin, Karrierefrau, Working Mom – Clara Schumanns kämpferisches Leben; 432 Seiten, div. Abb.; Siedler Verlag, München; € 25
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
