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FREDDY QUINN: „WIE ES WIRKLICH WAR“
Freddy Quinn ist mit über 60 Millionen verkaufter Schallplatten und zehn Spitzentiteln einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Sänger aller Zeiten. Was den immer noch sehr beliebten Entertainer besonders im Alter jedoch umtrieb, waren sein Image und all die Legenden um seine Vita.
Mit nun 93 Jahren und immer sehr bewusst im Dichtung und Wahrheit des Manfred Nidl-Petz – so sein echter bürgerlicher Name – hat er unter Mithilfe des befreundeten BILD-Reportes Daniel Böcking eine Autobiografie unter dem Titel „Wie es wirklich war“ herausgebracht.
Tatsächlich wurde Quinn in Hamburg-St. Pauli in der legendären „Washington Bar“ von dem Regisseur Jürgen Roland und dem Musiker Werner Baecker entdeckt. Und er war noch keine 25, als er am 22. Februar 1956 bei POLYDOR den Schnellschuss „Heimweh“ einspielte.
Der aber nur die B-Seite für „Sie hieß Mary Anne“ sein sollte und sich dann doch so durchsetzte, dass die Schallplatte der erste Millionseller Deutschlands und ein unvergesslicher Dauerbrenner wurde. Die nächsten Aufnahmen des in Wien geborenen Sängers und zeitweiligen Zirkusartisten waren zwar erneut erfolgreich, doch der gewiefte Produzent und Komponist Lotar Lias wollte mehr: Freddy als Marke.
Dazu schuf er das Bild des einsamen Seemanns mit dem Fernweh und der großen Melancholie. Das passte zu Freddys weiteren schlagern, vor allem jedoch kam es beim Publikum an. Der Sänger machte auch wegen des riesigen erfolgs willig mit, war auf die Dauer jedoch nicht glücklich über die festgelegte Rolle, wie er rückblickend versichert.
„Der Seemann wüurde mir übergestülpt wie ein Kostüm, das nicht richtig passte.“ Mit Begleiterscheinungen, die zuweilen arg belastend waren. Allen voran seine über 50 Jahre währende enge Beziehung zu Lilli Blessmann, Sie nahm den geschäftlich völlig unerfahrenen Sänger unter ihre Fittiche, fungierte dann aber auch weiterhin offiziell stets als seine Managerin, die er immer siezte, obwohl die beiden jahrzehntelang als Ehepaar zusammenlebten.
Er war „ein Leben im Schatten des Images“ und Frauen hätten zur Rolle des einsamen Einzelgängers nun mal nicht gepasst. Und Quinn räumt mit einigen Mythen und Halbwahrheiten auf, die ihn ärgern. So die krausen Geschichten um seine Herkunft bis hin zu der erfundenen Doku-Sendung über seine Vatersuche Morgantown in den USA – die habe es ebenso wenig gegeben wie seine Schulbesuch dort.
Insgesamt jedoch ist der Künstler, der mit 91 Jahren seine Partnerin Rosi heiratete, sehr zufrieden in seinem Rückblick. Noch heute liebt er seinen Erstling „Heimweh“, wogegen er „Junge, komm bald wieder“ nur noch ungern hören mag.
Und natürlich schaut er mit Stolz auf die vielen großen Erfolge zurück, die den lange Zeit liebsten sänger der Deutschen viel öfter ins Ausland und sogar bis in die berühmte New Yorker Carnegie Hall führten, als hier bekannt ist.
Mag der privat leidenschaftlich bastelnde Freddy Quinn auch für viele als das erfolgreich kreierte und von ihm selbst weitgehend befolgte Konstrukt der Musikindustrie im Gedächtnis bleiben – ganz uneitel darf er auf das wohl größte Publikum verweisen, das je ein deutschsprachiger Sänger hatte: am 7. Juli 1974 trat er im Vorprogramm des Weltmeisterschafts-Endspiels Deutschland-Niederlande (2:1) nicht nur vor 74.000 Zuschauern im Münchner Olympia-Stadion auf, weltweit waren 600 Millionen Zuschauer zugeschaltet.
Fazit: eine sehr erzählte Autobiografie mit teils deutlichen Korrekturen, die ihm nötig erschienen. Zugleich ein Insider-Rückblick auf ein Stück deutscher Kulturgeschichte in bewegten Zeiten.


# Freddy Quinn (mit Daniel Böcking): Wie es wirklich war. Die Autobiografie; 264 Seiten, div. SW-Abb., Paperback; Edition Koch, Höfen; € 25
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)