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JEAN-REMY von MATT: „AM ENDE“
Eine Biografie über Jean-Remy von Matt könnte sicher interessant und aufschlussreich sein, um wie viel mehr jedoch eine Autobiografie. Die hat der wohl größte deutschsprachige Guru der Werbebranche nun tatsächlich geschrieben und natürlich ist sie so außergewöhnlich, wie bei einem solchen Kreativen wirklich nicht anders zu erwarten.
„Am Ende“ hat er sie betitelt und er weist im Untertitel auf das hin, was man erwarten darf: „Erlebnisse und Erkenntnisse aus meinem kreativen Leben“. Gern kokettiert von Matt damit, dass er in fast allem nur durchschnittlich sei, angefangen von den Schulleitungen.
Aber Kreativität, da ist er Ausnahme und das muss er
nicht einmal betonen, denn die vielen kurzen Kapitel aus einem halben Jahrhundert als Werbetexter sprechen Bände über Kampagnen mit ikonischen Sprüchen wie „Geiz ist geil“ oder „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“.
Man erwarte jedoch keine klassische Autobiografie, denn es wird keine penible Vita inklusive viel Privaten – unter anderem vier Ehen – ausgebreitet. Dafür aber ein Berufsleben der Extraklasse mit hinreißenden Beispielen mancher Werbefeldzüge, warum sie scheiterten oder zündeten.
Schnörkellos geht er darauf mit einer herrlichen Mischung aus trockenem Witz, Charme und gnadenlos logisch ein. Und was den unverstellten Narzissmus angeht – zu dem bekennt er sich und ohne den wäre eine Karriere wie die seine vermutlich auch gar nicht denkbar.
Es liest sich köstlich, wenn der 1952 in Brüssel geborene und in Zürich aufgewachsene Werbekünstler von den frühen Prägungen erzählt und den Anfängen im Metier. Da setzt die Mutter erste Maßstäbe: „Die Lügereien unserer Mutter wurden immer kreativer.“ Sie nutzte solche allerdings ausschließlich für wohlmeinende Zwecken.
Und dann ging der Schweizer 1975 als „Wirtschaftsflüchtling“ in Düsseldorf in seinen ersten Job bei einer großen Werbeagentur. Wobei von Matt übrigens schon auf dem Cover eine typisch hintersinnige Werbung für alles weitere macht: „Das erste Buch, das von Anfang bis Ende immer schlechter wird.“
Was natürlich nicht stimmt, jedoch gerade für das unaufhörbare Lesen aller Ausführungen sorgt, denn es folgen hinreißende Fallbeispiele und Anekdoten. Lässig bekennt sich von Matt zu bis zu 15 Prozent Lügen, wobei jede Lüge aber auch ein kreativer Akt sei.
„Ich behaupte, in meinem Beruf nie gelogen zu haben: Wir verschenkpacken Fakten. Und wenn dabei etwas stört, kommt ein Schleifchen dran.“ Den Gipfel von Kreativität und Erfolg damit erklomm er ab 1991 mit Partner Holger Jung in der gemeinsam gegründeten Werbeagentur „Jung von Matt“ in Hamburg unter dem klaren Motto: „Wir wollten keine Agentur, in der Zahlen begeistern, sondern eine, in der Begeisterung zählt.“
Immer wieder werden faszinierende Ideen beschrieben und warum sie zündeten. Meist nicht einmal jede zehnte von ihnen, obwohl auch die anderen gut waren. Dazu stellt der 2002 in die Hall of Fame der deutschsprachigen Werbung aufgenommene von Matt eine für diese Branche grundlegende Regel vor: „Immer wieder hat uns die Radikalität der Einfachheit weiter gebracht als die Cleverness einer lange durchdachten komplexen Lösung.“
Mit lässiger Logik schildert er dann auch, warum es folgerichtig war, mit 66 aus dem Job auszusteigen. Worauf ja erwartungsgemäß kein Müßiggang folgte sondern anderes kreatives Tun. Auch das liest man mit großen Interesse, denn dieses sehr spezielle autobiografische Schlusswort ist von der verlockenden und manipulatorischen Art, die Jean-Remy von Matt zu dem gemacht hat, was er war und ist.


# Jean-Remy von Matt: Am Ende. Erlebnisse und Erkenntnisse aus meinem kreativen Leben; 240 Seiten, div. Abb.; Econ Verlag, Berlin; € 25
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)