- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Biografien
- Zugriffe: 116


JONATHAN EIG: „MARTIN LUTHER KING. EIN LEBEN“
Als Martin Luther King am 28. August 1963 beim legendären Marsch auf Washington seine weltberühmt gewordene „I have a Dream“-Rede hielt, wurde der schwarze Bürgerrechtler endgültig zur Kultfigur. Im Jahr darauf erhielt er mit eben 35 Jahren den Friedensnobelpreis – eine überlebensgroße Figur der amerikanischen Geschichte und zugleich mit dem vielfach gepflegten Image eines Säulenheiligen.
Um so verdienstvoller ist da die erste umfassende Biografie zu King seit über 30 Jahren, die der Journalist Jonathan Eig verfasst hat. Und der Autor, der vor einigen Jahren mit einer fulminanten Biografie zur Box-Legende Muhammad Ali allseits gerühmt wurde, erhielt soeben für dieses neue Meisterwerk den Pulitzer-Preis in der Kategorie Biografie 2024.
„Am 5. November 1955 wurde ein junger schwarzer Mann zu einem der Gründerväter Amerikas.“ Mit diesem Satz eröffnet Eig sein Werk, das eines von vornherein wohltuend vermeidet: es erscheint keine weitere Hagiografie, vielmehr geht der Autor schonungslos auch auf die Schwächen und Schattenseiten dieser Heldenfigur ein, der seit 1986 an seinem Geburtstag, dem 15. Januar, sogar ein nationaler Feiertag gewidmet ist.
Als Michael King 1929 in Alabama, Georgia, geboren, legt er sich wie sein Vater, der ebenfalls Baptistenprediger war, den Namen des deutschen Reformers erst später zu. Schon seine Herkunft sowie Kindheit und Jugend werden sehr lebendig beschrieben. Und es wird manchen Leser überraschen, dass der Womanizer King als Student längere Zeit mit Betty Moitz eine weiße Freundin hatte.
Wie Kings Freund Harry Belafonte später bestätigte, sei es die große Liebe Kings gewesen. Nur schweren Herzens habe er auf die geplante Heirat verzichtet und sich von ihr getrennt, weil die angestrebte Karriere als Prediger in seiner Heimat, den Südstaaten, mit einer einer weißen Frau an seiner Seite völlig undenkbar gewesen wäre.Der gut aussehende Dandy heiratete später Coretta, die Mutter seiner vier Kinder und Partnerin im Bürgerrechtskampf.
Ebenso spannend wie heikel dann sein Dienstantritt 1955 ausgerechnet in Montgomery, dem ehemaligen Zentrum des Sklavenhandels in Alabama und eine Hochburg des Ku-Klux-Klan. Und King erdreistet sich in seiner ersten Predigt vor 5.000 Gottesdienstbesuchern Sätze wie; „Wenn wir im Unrecht sind, dann ist die Verfassung der Vereinigten Staaten im Unrecht!“
Und es ist jenes Montgomery, wo 1955 die schwarze Schneiderin Rosa Parks sich weigert, ihren Platz in einem Linienbus für einen Weißen zu räumen, und prompt verhaftet wird. Während daraufhin ein Boykott öffentlicher Busse durch die schwarze Bevölkerung einsetzt – mit Martin Luther King als Stimme dieses Boykotts – wird in Mississippi der 14-jährige Emmet Till wegen einer Nichtigkeit gelyncht.
Mit seinem Charisma, seinem Redetalent samt seiner Gabe fürs Theatralische ist King der ideale Mann an richtiger Stelle. Doch so eindeutig der wortgewaltige Prediger auch für die Gewaltfreiheit des Widerstandes stehen mag, er erhält Drohungen, wird zusammengeschlagen, inhaftiert und vom Ku-Klux-Klan angefeindet.
King jedoch wusste die öffentlichen Bilder zugunsten der Bürgerrechtsbewegung zu nutzen, wenn die weißen Gegner, die Polizei und andere auf die friedlichen Aktivisten eindroschen und selbst Kinder und Jugendliche nicht verschonten. Aber selbst die Kennedy-Regierung unterstützte King nicht. Vielmehr ließ sie bewusst dem obsessiven Edgar J. Hoover freie Bahn.
Der mächtige Chef des FBI ließ die Bürgerrechts-Ikone nicht nur überwachen und abhören, es wurde aktiv gegen ihn gearbeitet. Und beharrlich versucht, ihn als Kommunisten zu brandmarken, der er nie war. Wie Hoover alles tat, um Kings Ehe zu zerstören, den sensiblen und zu Depressionen neigenden Aktivisten in den Suizid zu treiben, das wird erst in dieser Biografie in seinen widerwärtigen Dimensionen sichtbar.
Zugleich liegt hier die besondere Qualität des Werkes, denn Jonathan Eig konnte die erst kürzlich zugänglich gewordenen Quellen des FBI über King auswerten, die unfassbare Mengen an Material hergaben. Das und die rund 200 Interviews mit Zeitzeugen und Verwandten ermöglichten, ein außerordentlich authentisches Dild dieses Mannes zu zeichnen. Der fehlbar war und auch ein Zweifler.
Als solchen lässt diese psychologische Biografie Martin Luther King erkennen in seiner Vielschichtigkeit und seiner Größe wie auch in seiner Verletzlichkeit. Den legendären Bürgerrechtler, den Friedensnobelpreisträger, den Menschen. Fazit: eine große Biografie zu einer der ganz großen Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte.
# Jonathan Eig: Martin Luther King. Ein Leben (aus dem Amerikanischen von Sylvia Bieker und Henriette Zeltner-Shane); 750 Seiten, div. Abb.; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 34
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)