- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Biografien
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RÜDIGER GÖRNER: „BRUCKNER“
Als ungebildeter Dorfschullehrer und als Eigenbrötler mit schrulligem Erscheinungsbild und Attitüden, die ihn nicht als kunstsinnigen Menschen erscheinen ließen und schon gar nicht als Künstler von hohen Graden: so galt der Komponist Anton Bruckner (1824-1896).
Doch wie konnte ein ehemaliger Hilfslehrer und Kirchenorgelspieler aus der oberösterreichischen Kleinstadt Anfelden - „aus dem provinziellen Nichts“ - zu einem solchen Revolutionär der sinfonischen Musik werden, der seine Zeitgenossen mit der genialen Komplexität seiner neun Sinfonie fast verzweifeln ließ?
Rüdiger Görner, emeritierter Professor der Queen Mary University of London, widmet sich mit seiner Biografie „Bruckner. Der Anarch in der Musik“ nicht nur der Vita des vielfach missverstandenen Meisters sondern insbesondere auch dessen Widersprüchlichkeit.
Er geht die schwierige Aufgabe aus erzählerische Weise an und weicht in manchen Aspekten auf Mutmaßungen in Frageform aus, da die Quellenlage zu Bruckner so karg ist wie bei kaum einem anderen Künstler dieser Bedeutung. Da lernt man zunächst den seltsamen tief religiösen Kauz aus der Provinz kennen. Meisterhaft im Orgelspiel – damit in viel späteren Jahren sogar international gefeiert – gibt er sich ansonsten ungelenk und läuft seltsam gekleidet herum. Frauen gegenüber tut er sich zeitlebens schwer, macht sich andererseits aber bis in seine 50er Jahre lächerlich mit Heiratsanträgen an sehr junge Frauen.
Doch auch musikalisch ist der später als Genie gerühmte Bruckner kein Wunderkind. Erst mit 25 das „Requiem in d-MollW als erstes nennenswerte Komposition uraufgeführt, und noch einmal fast 20 Jahre dauert es bis zur ersten Aufführung seiner Sinfonien. Die wirkliche Anerkennung erfährt er erst als alter Herr mit 60.
In der öffentlichen Wahrnehmung aber fällt nicht nur sein skurriles Auftreten negativ ins Gewicht sondern gerade auch seine überschwängliche Verehrung für Richard Wagner. Dessen „Tannhäuser“ war ihm ein Erweckungserlebnis und die persönliche Begegnung mit dem umstrittenen Revolutionär des Musiktheaters war ein weiterer Wendepunkt seines Lebens.
Er selbst jedoch litt unter schweren Depressionen und wirtschaftlicher Enge. Das eigentliche Wunder, wie konnte dieser so weltfremde, immer wieder erniedrigte und verkannte Sonderling schließlich solche Modernität der Komposition kreieren – hochkomplexe Werke, die lange als nahezu unspielbar galten?
Auch Biograf Görner kann dieses Rätsel nicht wirklich lösen, lässt gleichwohl auf seriöse Weise ahnen, wie ausgerechnet dieser seltsame Mensch eine solch originäre Musik schaffen konnte. Künstlerisch war Anton Bruckner seiner Zeit so weit voraus, dass sein gewaltiges Werk erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts endgültig die gebührende Anerkennung fand.
Fazit: zum 200. Geburtstag in diesem September eine große und wichtige Würdigung und teils auch Richtigstellung, die allerdings recht akademisch verfasst ist und einiges Fachwissen voraussetzt.
# Rüdiger Görner: Bruckner. Der Anarch in der Musik; 381 Seiten; Zsolnay Verlag, Wien; € 32
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)