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WALTER ISAACSON: „EINSTEIN“
Albert Einstein (1879-1955) war eines der größten Genies der Menschheitsgeschichte und natürlich gibt es zahlreiche Biografien über seine bewegte Vita. Dem US-Spitzenjournalisten und Geschichtsprofessor Walter Isaacson aber ist mit seiner großen umfassenden Biografie wohl das ultimative Standardwerk zu dieser Ausnahmegestalt gelungen.
Um so verwunderlicher ist es da, dass „Einstein. Die Biografie“ erst mit 17 Jahren Verspätung auch auf Deutsch erschienen ist. Nach früheren Meisterwerken wie zu Henry Kissinger, Steve Jobs und zuletzt zu Elon Musk nun also dieses rundum überzeugende Buch, das dem Wissenschaftler, politischen Freigeist und auch dem privaten Albert Einstein glasklare Konturen gibt.
Selbstverständlich sind sämtliche wissenschaftliche Entdeckungen in Entstehung und Wirkung aufgeführt, Isaacson aber untersucht auch den Ursprung all der Geniestreiche. Dabei entsteht das komplexe Bild eines Menschen mit einem seit Kindheitstagen rebellischen Charakter. Seine Abneigung gegen jede Art von Reglementierung und die Geringschätzung von Autorität seien die Wurzeln der Unabhängigkeit seines Geistes gewesen.
Von Kindheit an ein meist freundlicher Einzelgänger mit einer Neigung zur Distanziertheit, wurde der Spross einer mittelständischen, gänzlich säkularen jüdischen Familie nicht von ungefähr zum Schulabbrecher. Hier nun räumt der Biograf jedoch mit notorischen Anekdoten vom Schüler mit den schlechten Noten (selbst im Fach Mathe- matik!) auf.
Schon früh beherrschte er komplexe Mathematik-Aufgaben und selbst in den Sprachfächern, die ihm nicht lagen, waren seine Noten nachweislich stets gut. Wobei die Spezialität seines Denkens gerade auch den späteren wissenschaftlichen großtaten herauszuheben ist: Einstein dachte in Bildern statt in Worten. Und er liebte von früh an das Geigenspiel: „Es half beim Denken.“
Zur einzigartigen wissenschaftlichen Vorstellungskraft gesellte sich eine besondere Eigenart, denn Einstein hatte die Gabe, sich über vermeintlich selbstverständliche Phänomene so zu wundern, dass sie ihm neue wissenschaftliche Denkansätze eröffneten.
Geradezu hinreißend romanhaft liest sich dann der Weg zum Züricher Polytechnikum – im Selbststudium ohne Abitur. Und wie der ungebärdige Freigeist immer wieder aneckt, weshalb sein Diplom nur mäßige Noten aufweist und er als einziger Absolvent seines Jahrgangs keine Anstellung findet. Und sich dennoch als unbedeutender Beamter des Patentamts seinen Weg bis in unvergleichliche wissenschaftliche Höhen einschließlich Nobelpreis erkämpft.
Doch das alles allein würde Albert Einstein nicht gerecht ohne die sehr eingehenden detaillierten Ausführungen zu der privaten Person, die untrennbar damit verwoben ist. Einsteins Privatleben gediegen zu nennen, wäre eine massive Untertreibung, denn seine privaten Beziehungen waren kompliziert bis schwierig.
Hier kommt zur haarfeinen Beobachtung der unschätzbare Vorteil, dass Biograf Isaacson die enormen Schätze von Einsteins persönlicher Korrespondenz auswerten konnte. Manches war erst in den 90er Jahren entdeckt worden, das meiste aber ohnehin bisher der Öffentlichkeit verschlossen gewesen.
So glänzt diese Biografie mit sehr vielen, teils bisher kaum bekannten Details auch aus den Lebensumständen und Verhaltensweisen des Porträtierten. Und immer wieder fesseln Glanzlichter aus der faszinierenden Charakteristika dieses Genies mit seiner Aura und Menschlichkeit wie sein pazifistisches Manifest von 1930 als gefeierter Wissenschaftsstar in den USA oder die Fülle von Zitaten bis hin zum Altersbekenntnis: „Ich bin ein tiefreligiöser Ungläubiger.“
Trotz sehr viel spürbarer (berechtigter!) Bewunderung für Albert Einstein ist diese Biografie dennoch nicht zur Hagiografie geraten, denn Isaacson spart auch die vielen kleinen und teils durchaus auch größeren Schwächen und Macken seiner Zielperson nicht aus. Bis hin zu dem dunklen Geheimnis um Lieserl: die uneheliche Tochter mit der späteren Ehefrau Mileva wurde zur Adoption weggegeben und gänzlich totgeschwiegen.
Das Gesamturteil über diese Biografie kann – auch deshalb – nur lauten: ein Meisterwerk des Genres, das dem Genius Albert Einstein absolut gerecht wird und neben der Fülle des Inhalts auch einen fesselnden Lesegenuss offeriert. Und das Lob gilt für diese Fassung auch der hervorragenden Übersetzung durch Hainer Kober.
# Walter Isaacson: Einstein. Die Biografie (aus dem Amerikanischen von Hainer Kober); 832 Seiten, div. SW-Fotos; C. Bertelsmann Verlag, München; € 34
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)