- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Sachbücher
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ANDREAS MATLÉ: „DEUTSCHE DINGE“
75 Jahre alt ist die Bundesrepublik Deutschland jetzt und auch die DDR wurde im Jahr 1949 gegründet. Nun erzählt der Kulturmanager Andreas Matlè dazu „Eine Geschichte in 75 Objekten“, so der Untertitel seines umfangreichen Sachbuchs.
„Deutsche Dinge“ ist das Kompendium überschrieben, in dem der Autor für jedes Jahr ein symbolisches Alltagsobjekt als Aufhänger für einen ausführlich und dennoch kompakt gehaltenen Text nimmt. Als Einleitung dient jeweils ein einschlägiges Foto. Natürlich ist die Auswahl subjektiv, allerdings ebenso sinnvoll wie originell.
So eröffnet die Schellack-Schallplatte mit dem bis heute unvergessenen Gassenhauer „Capri-Fischer“ den Reigen. Tatsächlich besang Rudi Schuricke 1949 im darniederliegenden Deutschland die Sehnsucht nach einer heilen Welt, die über alles hinwegtrösten sollte, Im Übrigen sollte dieser Schlagererfolg ausgesprochen folgenreich werden für den späteren Zug deutscher Urlauber nach Italien.
Den eher dunklen Zeitgeist symbolisiert dagegen der Lebertran (1951), mit dem nicht nur Millionen spilleriger Nachkriegskinder zu ihrem körperlichen Wohl malträtiert wurden. Daneben stehen auch Gesundheitsgefahren jener Zeit wie Tbc und Kinderlähmung.
Ungleich positiver besetzt ist da 1957 der „Transistor I“, denn das Kofferradio bedeutete auch eine neue Freiheit für die Jugendlichen. Und während die DDR hier bald nachzog, begann im Westen der Siegeszug der Design-Künste der Firma BRAUN.
Eine ganz andere gesellschaftliche Langzeitwirkung entfaltete 1962 die Pille und hier geht der Autor nach den Symbolen für Fress- und Reisewelle nun auf die allmählich einsetzende Sexwelle mit neuer Freizügigkeit und dem Wirken von Aufklärer Oswalt Kolle ein. Wie die Zeiten ohnehin bunter wurden, wie das Kapitel zum Flokati-Teppich (1968)und zur ewig klebenden Prilblume (1972) zeigen, wo sich dann ja auch immer mehr die Höhenflüge allseitiger Werbung ausbreiteten.
Ein gewisses Manko der Auswahl ist die gesamtdeutsche Verteilung der Objekte, bei der die 40-jährige Ära der DDR eher bescheiden bedacht wurde. Dafür allerdings mit bedeutsamen Symbolen wie Plaste und Elaste (1978) und dem Trabant mit einer Abhandlung zum Jahr 1983.
Als einziges gebliebenes Markenzeichen der Ostalgie dient hier das Ampelmännchen (1990). Und während so manche Errungenschaft des untergegangenen ostdeutschen Staates schlichtweg unerwähnt bleibt, hat sich für 2005 ein solch unsinniges Thema wie der „Poledance“ eingeschlichen: soll dieser Erotiktanz an der Stange wirklich irgendwann deutscher Zeitgeist gewesen sein?!
An die jüngsten Sinnbilder wie die Corona-Maske (2020) oder die Sekundenkleber (2023) werden sich auch die jüngsten Leser noch genau erinnern. Gerade für sie aber, die vieler der 75 Objekte und ihre Geschichten nur vom Hörensagen oder gar nicht kennen, offenbart dieser Geschichtsschnelldurchlauf viel Interessantes und für Nostalgiker sowieso.
# Andreas Matlé: Deutsche Dinge. Eine Geschichte in 75 Objekten; 432 Seiten, div. Abb.; Droemer Verlag, München; € 36
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)