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DAVID BLACKBOURN: „DIE DEUTSCHEN IN DER WELT“
Erst 1871 entstand eine Nation namens Deutschland, die dann ja zeitweise zur Großmacht wurde. Und ansonsten gab es nichts Deutsches in der Welt?
Diesem irrigen Eindruck tritt David Blackborun mit einem großen Sachbuch entgegen. Wobei der englische Originaltitel „Germany in the World“ eher ungenau ist, denn Deutschland als solches gibt es historisch gesehen eben erst seit der Reichsgründung in Versailles. Um so genauer trifft es der deutsche Titel „Die Deutschen in der Welt“. Wozu der Untertitel „Siedler, Händler, Philosophen: Eine globale Geschichte vom Mittelalter bis heute“ die Zielrichtung andeutet.
Der Historiker, der einst unter anderem an der Harvard University lehrte, setzt in seinem detaillierten Streifzug durch die Welt um 1500 an. Mochten die deutschen Lande noch so weit von maritimen Abenteuern entfernt liegen, waren es Menschen von hier, die auf spanischen und portugiesischen Galeonen mitsegelten.
Als Seeleute, Soldaten, Handwerker und Ingenieure spielten sie wichtige und sehr willkommene Helfer bei der Eroberung ganzer Kolonialreiche. Ihr Geschick half in den Gold- und Silberminen, sie leisteten gewichtige Beiträge als Händler und Siedler oder eben als Söldner.
Auch in dunklen Kapiteln der Weltgeschichte mischten deutsche Namen mit, denkt man an die Feldzüge der Konquistadoren. Und selbst zum Sklavenhandel trug im 17. Jahrhundert die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie ihren kleinen Anteil bei. Deutscher Erfindergeist wie insbesondere der dort erfundene Buchdruck trugen deutsche Errungenschaften in ungeahntem Ausmaß in die Welt.
Die deutschen Ausstrahlungen waren kulturelle, politisch, ökonomisch und wissenschaftlich bedeutsam. Autor Blackbourn beschränkt seine Spurensuche nicht nur auf große Namen wie die Humboldt-Brüder oder Vater und Sohn Forster, die unter der Flagge anderer Nationen Forschungs- und Entdeckungsreisen von großer Bedeutung unternahmen.
Politisch und militärhistorisch folgenreich wirkten sich auch die Söldnerverkäufe deutscher Fürsten aus, wo es dann zum Beispiel in den Amerikanischen Freiheitskriegen zur „German battle“ kommen konnte, wo Hessen, Hannoveraner und Ansbacher gegeneinander fochten. Noch bedeutender wurde nach dem Scheitern der deutschen Revolutionsversuche von 1848 der Einfluss von Emigranten als Kämpfer und Offiziere auf den Schlachtfeldern des amerikanischen Bürgerkriegs.
Zu Nazi-Zeiten folgte dann der große Aderlass in Wissenschaft und Kultur, der viele Länder der Welt mit intellektueller und künstlerischer Brillanz bereicherte. Allerdings spart der große Kenner deutscher Geschichte auch nicht die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Nazi-Regime und Holocaust aus.
Immer wieder bestechen bei sämtlichen Ausführungen die oft stark personalisierten Beispiele, die auf eine Vielzahl von Tagebüchern, Briefen und Dokumenten deutscher Akteure beruhen. Das Alles sorgt für eine intensive, allumfassende Draufsicht auf Schaffen und Wirken „der Deutschen“ global über Jahrhunderte hinweg.
Fazit: ein faszinierender Ansatz der Geschichtsschreibung, dessen Wert insbesondere darin liegt, dass er manche neue Perspektiven eröffnet.


# David Blackbourn: Die Deutschen in der Welt. Siedler, Händler, Philosophen: Eine globale Geschichte vom Mittelalter bis heute (aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt); 1008 Seiten, div. SW-Abb.; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 42
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)