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GABRIEL ZUCHTRIEGEL: „POMPEJIS LETZTER SOMMER“
Seit vier Jahren ist Gabriel Zuchtriegel Direktor des Archäologischen Parks Pompeji und als Autor fand er viel Beachtung mit seinem Sachbuch „Vom Zauber des Untergangs“. Nun hat der deutsche Wissenschaftler mit einer großen Untersuchung nachgelegt, die die Katastrophe vom 25. Oktober des Jahres 79 nach Christus als Exempel für einen folgenreichen Epochenwechsel in den Mittelpunkt stellt.
„Pompejis letzter Sommer. Als die Götter die Welt verließen“ lautet der Titel und Zuchtriegel sieht diese Monate bis zum Ausbruch des Vesuv quasi als Vorboten für das nahende Ende der antiken vorchristlichen Weltordnung. Dazu beschreibt er zunächst die idealen Untersuchungsbedingungen dieser Ausgrabungsstätte, die die Lavaflut damals schuf.
Nicht nur Gebäude samt Fresken und Mosaiken blieben erhalten, auch die Formen aus organischem Material bis hin zu zahlreichen menschlichen Leichen – von der rasend schnell über Pompeji hereinbrechenden pyroklastischen Flut überrascht – konnteh dank der hinterlassenen Hohlräume nachmodelliert werden.
Da konnten die Exponate nicht wie bei den üblichen Funden nur nach wahrscheinlicher Konstellation zusammengefügt werden – hier wurden sie im konkreten damaligen Kontext vorgefunden. Und hier führt Zuchtriegel in eine ungeschönte Realität einer Großstadt von rund 45.000 Einwohnern und ihren Alltag.
Realistischer als in den meisten alten Darstellungen entsteht so das Bild eines Stadtlebens, das einerseits überraschend offenkundiger Weise von Vergnügungstempeln, allgegenwärtigen Mosaiken von sexueller Freizügigkeit und religiöser Vielfalt beherrscht war.
Spannend erweisen sich zwar auch die Erkenntnisse über die Wirtschaftsgeschichte Pompejis. Vor allem aber sind die gesellschaftlichen Gegensätze unübersehbar, die dem im 1. Jahrhundert nach der Zeitenwende aufkommenden Christentum Vorschub leisteten. Bis zu ein Drittel der Bevölkerung lebte als Sklaven und die galten nicht als Menschen sondern als „sprechende Werkzeuge“.
Und da kommt eine Sekte, die eine geradezu revolutionäre Religion verbreitet: vor ihrem Gott sind alle Menschen gleich. Nicht einmal die größten Geister der Griechen oder in Rom hatten in all ihren Theorien je die Sklaverei in Abrede gestellt.
Dabei war das Römische Reich bis dato sehr liberal mit seiner Vielzahl an Göttern. Auch von außen hereingebrachte Religionen wurden toleriert, nur die Loyalität gegenüber dem Genius des Kaisers war bei drohender Todesstrafe sakrosankt.
Da beginnt in dieser Ära ein epochaler Umbruch, der die alten Verhältnisse im Römischen Reich völlig verändert und schließlich mitursächlich für dessen Ende und dann Grundlage für eine gänzlich andere Welt wird. Der erstaunliche schnelle Siegeszug der neuen Religion findet in den religionswissenschaftlichen, theologischen und soziologischen Schlussfolgerungen Zuchtriegels denn auch fundierte Erklärungen.
Viel modernes Gedankengut samt einer recht saloppen Darstellungsweise sorgt hier auch für den interessierten Laien für eine spannende Lektüre mit viele neuen Sichtweisen.


# Gabriel Zuchtriegel: Pompejis letzter Sommer. Als die Götter die Welt verließen; 316 Seiten, div. Abb.; Propyläen Verlag, Berlin; € 33
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)