- Geschrieben von: Wolfgang A. Niemann
- Kategorie: Sachbücher
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JOHN GUY/JULIA FOX: „“JAGD AUF DEN FALKEN“
Heinrich VIII. und Anne Boleyn, das war nicht nur eines der spannendsten Paare der Weltgeschichte ihre insgesamt nur kaum neun Jahre lange Beziehung war auch eine der folgenreichsten. Das Historiker-Ehepaar John Guy und Julia Fox zählt zu den größten Experten zu diesem Thema und nun haben sie auf der Grundlage neuester Erkenntnisse eine Doppelbiografie verfasst, die weit mehr ist als das.
„Jagd auf den Falken“ lautet der Titel und der Untertitel nennt den Umfang: „Anne Boleyn und Heinrich VIII. - Die Ehe, die die Welt erschütterte“. Entstanden ist jedoch nicht nur eine glanzvolle Chronik beider Leben sondern ein umfassendes Sachbuch zur gesamten Epoche mit viel erhellendem Hintergrund.
Die Historiker haben faszinierende Details durch die Auswertung originaler Handschriften untermauert, die teils auf neuen Archivfunden beruhen, teils auf bisher unbeachtet gebliebenen. Bei den gedruckten Quellen haben sie stets die ältesten, zeitnächsten genutzt. Was der Verständlichkeit schon deshalb viel Gewinn brachte, weil die bewegte Zeit mit ihren schwer zu entflechtenden Verbindungen, Verträgen, wechselnden Koalitionen und Feindshacften so durchschaubarer wurde.
Am Anfang stehen die Biografien der frühen Jahre des gar nicht für die Königswürde vorgesehen Prinzen Henry und der zweitältesten Tochter der ehrgeizigen Familie Boleyn. Insbesondere für das Persönlichkeitsbild Heinrichs sind hier wichtige Entwicklungen in psychologischer Hinsicht wegweisend für das Verstehen der späteren Verhaltensweisen.
Attraktiv und für damalige Verhältnisse hünenhaft gewchsen, war er nach Thronfolger Arthur nur die Reserve, genoss die Liebe der Mutter und eine umfassende Bildung. Bis der tyrannische Vater Heinrich VII. übernahm und den Sohn drangsalierte, bis er dann im Sommer 1509 mit eben 18 Jahren auf den englischen Thron gelangte.
Anne Boleyn dagegen sollte wie ihre ältere Schwester Mary als Hofdame in den Adel einheiraten. Den größten Teil ihrer Jugend verbrachten die Schwestern allerdings in Flandern und Frankreich. Vor allem Anne wurde hierbei am Hof von Erzherzogin Margarete von Österreich, der Statthalterin der Niederlande, und später am Hof der französischen Königin Claude geprägt.
Wissenschaft und Kultur verinnerlichte die ebenso intelligente wie willensstarke Anne ebenso wie eine starke frankophile Haltung. Durch eine Koalition Heinrichs mit Kaiser Karl V. gegen Frankreich endete ihre Zeit dort 1521 und nach ihrer Rückkehr an den englischen Hof begegnete sie dem König erstmals.
Der allerdings zunächst ihre Schwester Mary zu seiner Mätresse machte. Was im Übrigen sowohl deren Gatte wie auch Vater Boleyn aus Karrieregründen begrüßten. Um 1525 – Anne war für damalige Verhältnisse mit 24 oder 25 Jahren als unverheiratete Frau bereits erstaunlich alt – kam es jedoch zu dem schicksalhaften Sinneswandel Heinrichs: er verliebte sich bis zur Besessenheit in die kultivierte schöne Anne.
Es setzte eine in der Geschichte schier unglaubliche Brautwerbung ein, da sich Anne Boleyn der Mätressenrolle verweigerte. Um sie zu erobern, vernichtete Heinrich Freunde und Unterstützer, nahm den Unwillen von Höfingen, Untertanen und der Familie in kauf.
Seine hemmungslose Leidenschaft gipfelte schließlich in einem Akt mit weltgeschichtlichen Folgen: Da ihm der Papst den Dispens für eine Scheidung von Noch-Königin Katharina verweigerte, brach der englische König mit der Katholischen Kirche und gründete seine eigene.
Und dann wird Anne Boleyn mit 32 oder 33 Jahren tatsächlich zur Königin von England gekrönt. Der Höhenflug sollte jedoch nur drei Jahren währen und es waren nicht nur Fehlgeburten und der ausbleibende Thronfolger, die sie dramatisch abstürzen ließen. Sie wollte zu viel und überschätzte ihre Möglichkeiten als auch politisch ehrgeizige Frau, die zudem am Hof herrschsüchtig und scharfzüngig agierte.
Heinrichs Leidenschaft und Bewunderung dieses eigenen Kopfes schlugen bald ins Gegenteil um. Schon die enttäuschende Geburt von Tochter Elisabeth im Hochzeitsjahr führte zur Umorientierung des ebenso machtbewussten wie narzisstischen Königs. Als sich Anne zudem immer mehr Feinde bei Hofe durch ihre Einmischung in politische Dinge machte, war es allen voran der mächtige Handlanger des Königs Thomas Cromwell, der die Voraussetzungen für Annes Ende schuf.
Ehebruch, Inzest und Hochverrat gegen den König lauteten am Ende die Vorwürfe und dafür brachte der königliche Sekretär das nötige Material zusammen, um der Königin den Prozess zu machen, Sie hatte keine Chance, zumal sich Heinrich längst Jane Seymour zugewandt hatte, die nur zwei Wochen nach Vollstreckung der Todesstrafe ihre Nachfolgerin wurde.
Eine letzte Vergünstigung gewährte der völlig erkaltete Herrscher seiner einst so wild begehrten Schönen: die ehrenvollere Hinrichtung durch das Schwert statt der Axt. Bevor der Scharfrichter jedoch am 19. Mai 1536 zuschlug, verweigerte die stolze Verstoßene jedes Schuldanerkenntnis.
Mit seiner Detailgenauigkeit insbesondere aus mancen bisher kaum beachteten Quellen stellen die Autoren Anne Boleyn in ein vermutlich weitaus zutreffenderes Licht. Zusammen mit der Darstellung Heinrich VIII. Vor und in diesen Jahren darf man zurecht von einem wegweisenden Standardwerk zum Thema sprechen.
# John Guy/Julia Fox: Jagd auf den Falken. Anne Boleyn und Heinrich VIII: - Die Ehe, die die Welt erschütterte (aus dem Englischen von Norbert Juraschitz und Karin Schuler); 603 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München: € 34
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
