0094kessler

OREN KESSLER: „PALÄSTINA 1936“
Der große Aufruhr der Palästinenser gegen die britische Mandatsmacht und noch mehr gegen die Einwanderung der europäischen Juden führte von 1936 bis 1939 zu blutigen Zusammenstößen ähnlich den späteren Intifadas. Doch obwohl diese Ereignisse ein Grundmuster für die späteren jüdisch-arabischen Zusammenstöße legten, gab es bisher außer einigen akademischen Studien keinerlei populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen dazu.
Dem hat nun der in Jerusalem und New York lebende Journalist Oren Kessler mit seinem Sachbuch „Palästina 1936 – Der Große Aufstand und die Wurzeln des Nahostkonflikts“ gewidmet. Der Autor stützt sich bei seinen Ausführungen einerseits ausschließlich auf Faktenmaterial, andererseits lässt er wichtige Protagonisten aller drei Konfliktparteien von damals zu Worte kommen.
Großbritannien beherrschte und verwaltete Palästina nach dem Ersten Weltkrieg und der Auflösung des Osmanischen Reichs als Mandatsgebiet des Völkerbundes. Zur selben Zeit verstärkte sich der Zustrom von Juden und das insbesondere nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland im Jahr 1933.
1936 eskalierte der Widerstand der arabischen Bevölkerung zur blutigen Revolte, verbunden mit einem sechsmonatigen Generalstreik. Zwei Nationalbewegungen stießen hier erstmals massiv aufeinander. Das Ergebnis aber sollte Auswirkungen haben, die entscheidende Grundlagen für die Demütigung und die Niederlage der Palästinenser von 1948 begründete.
Als der Aufstand von den Briten 1939 endgültig niedergeschlagen wurde, zeigte sich eine erschreckende Bilanz – vor allem für die arabischen Aufrührer. Etwa 500 Juden und 250 Briten waren umgekommen, auf arabischer Seite aber bis zu 8000. Zudem waren viele Häuser zerstört und Zehntausende aus dem Land geflohen.
Gleichwohl stellt Kessler fest: „Der Große Aufstand von 1936 bis 1939 war der Schmelztiegel, in dem die Palästinensische Identität geschmiedet wurde.“ Doch um welchen Preis – nicht nur der Blutzoll war ungleich größer als bei den Bekämpften, vor allem hatte der Generalstreik die arabische Wirtschaft massiv geschädigt.
Ein Problem waren schon damals die Extremisten auf arabischer Seite. Die schwächten in ihrem blindwütigen Toben nicht nur die gesamte palästinensische Position, sie ließen auch immer wieder besonnene Pragmatiker umbringen (auch ein Vorbild für das Gebaren der Hamas!).
Die bis heute nachwirkende fatalste Rolle spielte dabei Mohammed Amin al-Husseini, der fanatische Mufti von Jerusalem. Er floh schließlich nach Berlin, wo er Hitler hofierte und mit SS-Chef Himmler Pläne schmiedete.
Und es gab wichtige politische Treffen in London mit hochrangigen Politikern und Entscheidungsträgern. Während die Juden im Geiste der „Balfour-Declaration“ von 1917 mit Charme und Geschick – allen voran Chaim Weizman – für ihre Belange einer Heimstatt für die Juden in Palästina kämpften, vergrätzten die arabischen Unterhändler ihre britischen Geschäftspartner durch anmaßendes und schroffes Auftreten.
Einen Grundsatz aber aber beschlossen die Juden bereits nach Ende des Aufstands: „Reine passive Verteidigung wäre nationaler Selbstmord.“ Zur selben zeit schlossen die Briten wegen des drohenden Krieges in Europa die Tore Palästinas für weitere jüdische Einwanderer. Aus das mit tiefgreifenden Folgen.
Das Buch macht deutlich, dass 1948 – die Gründung des Staates Israel und die „Nakba“, die große Katastrophe für die Palästinenser durch Niederlage und Flucht – nicht der Ausgangspunkt für die bis heute tobenden Nahostkonflikte war sondern vielmehr die logische Folge der Ereignisse von 1936 bis 1939.
Der große Wert dieser Darstellung liegt dabei insbesondere in der Sachlichkeit, mit der Oren Kessler Fakten und Sichtweisen der beteiligten Parteien darlegt, ohne sie zu bewerten. Fazit: ein ungemein wichtiges Werk für das Verstehen gerade auch der aktuellen Konfliktsituationen.


# Oren Kessler: Palästina 1936 – Der Große Aufstand und die Wurzeln des Nahostkonflikts (aus dem Englischen von Norbert Juraschitz); 384 Seiten, div. SW-Abb.; Hanser Verlag, München; € 28
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)